2. Oktober 2017

'Todestanz nach Mitternacht' von Achim Zygar

Ein brutaler Mord hält ganz Bielefeld in Atem. In der Schwimmhalle der Universität wird nachts die Studentin Julia Lutter erschlagen – mit ihrem eigenen Stöckelschuh.

Der Fall ist besonders verzwickt, stößt Kriminalhauptkommissar Haverbeck doch bei seinen Ermittlungen auf höchst ungewöhnliche Dinge: Julia war nicht nur Mitglied in einem Studentenclub mit merkwürdigen Spielregeln. Ein Professor ließ sie auch, obwohl sie von nichts Ahnung hatte, eine wichtige Prüfung bestehen. Und ihre tiefreligiöse Stiefmutter war von ihr so fasziniert, dass sie ihr hinterherspionierte. Als sei der Fall nicht schon kompliziert genug, kommt die Gerichtsmedizinerin noch mit einem überraschenden Obduktionsergebnis: Julia Lutter hat kurz vor ihrem Tod mit drei Männern Sex gehabt.

Gleich lesen: Todestanz nach Mitternacht: Haverbeck ermittelt (7. Fall)

Leseprobe:
»In der Umkleidekabine hat sie die ersten Schläge abbekommen, ins Gesicht, an den Hals, auf den Oberkörper. Schon kurze Zeit später muss sie blutüberströmt gewesen sein. Auch an Armen und Händen habe ich viele Wunden gezählt. Es sind typische Abwehrverletzungen. Vermutlich ging einer der ersten Schläge ins Auge. Deshalb muss sie schon hier ziemlich orientierungslos gewesen sein. Ab diesem Zeitpunkt konnte sie sich auch nicht mehr ernsthaft wehren oder gar zum Gegenangriff übergehen. Sie konnte ihre Umgebung nur noch schemenhaft mit dem anderen Auge wahrnehmen. Sie wollte fliehen und orientierte sich Richtung Schwimmhalle, denn der Weg dorthin war frei. Vielleicht hat sie auch geschrien, noch konnte sie es. Doch um diese Uhrzeit wird niemand sie außerhalb der Halle gehört haben. Hier, an dieser Ecke, ist sie vermutlich mit dem Kopf heftig gegen die Kacheln gestoßen. Dann ist sie den Gang entlang getaumelt. Sie wollte nur noch raus aus diesen Räumen. Mit beiden Händen hat sie sich erst an der linken Wand entlang getastet. Dann ist sie schräg hinüber zur rechten Seite gewechselt und dann hier, sehen Sie, wieder auf die andere Seite. In der Zwischenzeit muss sie mit ihren Händen immer wieder im Gesicht gewesen sein. Sie hat sich das Blut aus dem Auge gewischt, um überhaupt noch etwas sehen zu können. Aber das hat ihr nicht viel geholfen, denn aus den Wunden im Gesicht und auf der Stirn quoll immer neues Blut. Man kann deutlich sehen, dass die Blutspur an der Wand nicht schwächer wird. Auf dem Gang sind die Schläge dann von hinten gekommen, auf den Nacken, auf den Kopf. Vermutlich rutschte sie hier aus und stürzte kurz vorm Durchgang zur Schwimmhalle. Sie muss seitlich aufgeschlagen sein, auf der rechten Seite hat sie gelegen. Nur so kann ich mir erklären, wieso die linke Gesichtshälfte eine einzige große Wunde ist. Ich habe allein auf dieser Seite mindestens zehn bis zwölf Schläge gezählt. Vermutlich ist der Täter in die Hocke gegangen, anders kann ich mir die Schwere der Verletzungen nicht erklären. Mit ziemlicher Sicherheit war sie hier schon nicht mehr bei Bewusstsein, sonst hätte sie die Hände schützend über den Kopf gehalten und auf den Handrücken wären mehr und größere Wunden zu sehen. Irgendwann wurde sie in die Schwimmhalle gezogen, vermutlich an den Haaren, und ins Becken geschoben. So könnte die Tat aus meiner Sicht abgelaufen sein.«
»Ein Stöckelschuh als Mordinstrument . . .«
»Herr Haverbeck, ob die Verletzungen durch den Schuhabsatz die Ursache für den Tod sind, weiß ich noch nicht. Es kann auch sein, dass die Frau ertrunken ist. Dafür muss ich sie auf dem Tisch haben. Aber mit einem Schuh wurde zugeschlagen, davon gehe ich aus. Sehen Sie hier den Fleck auf der Stirn? Der Schlag war schwach, deshalb ist nur ein Abdruck zu sehen. Und der hat dieselbe Form wie der Absatz des Stöckelschuhs.«
Kriminalhauptkommissar Siegfried Haverbeck nickt stumm und fährt langsam mit der Hand über seine angegrauten Haare. Da kann sie Recht haben, die Frau Dr. Gentschenfeld. Zusammen mit der Gerichtsmedizinerin steht er am Beckenrand neben der nackten Leiche einer jungen Frau, deren Alter sie auf Anfang bis Mitte zwanzig schätzt. Einer der Hausmeister der Bielefelder Universität hat sie bei seinem Rundgang heute Morgen im Schwimmbecken gefunden. Beim Blick durch die Glasfront, die das Schwimmbecken vom Rest der Uni-Halle trennt, war ihm erst nur das stark rot gefärbte Wasser im oberen Bereich des Beckens aufgefallen. Er tippte auf einen dummen Streich mit Farbe, den sich Studenten erlaubt hätten. Erst beim zweiten Blick sah er inmitten des roten Flecks einen leblosen Körper im Wasser dümpeln.
Kriminalkommissar Philip Landmann, Haverbecks junger Assistent, steht neben seinem Chef. Beide tragen blaue Schuhüberzieher und haben Einweghandschuhe an. Eigentlich sollen auch sie einen Tatort nur in einem Schutzanzug betreten. Aber solange sich niemand aufregt . . . Landmann hält einen der beiden roten Stöckelschuhe mit Daumen und Zeigefinger am Absatz hoch und beäugt ihn wie einen archäologischen Fund von allen Seiten. Er hat ihn mit einer Rettungsstange vom Boden des Schwimmbeckens geangelt. Der andere liegt am Beckenrand.

Im Kindle-Shop: Todestanz nach Mitternacht: Haverbeck ermittelt (7. Fall)

Mehr über und von Achim Zygar auf seiner Website.

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