10. Oktober 2017

'In diesem heißen Sommer' von Eva-Maria Farohi

Die junge Kleo hält sich für wenig attraktiv, nicht nur, weil sie nach einem Unfall immer noch gehbehindert ist. Sie beschließt, ein Jahr lang ihren Traum zu leben und im Süden zu malen.

Sie mietet sich auf der Finca des Malers Yves Dubois ein. Dieser ist zwar genial, aber auch schwierig und von Kleos Anwesenheit alles andere als begeistert. Dennoch kann er sich Kleos naivem Zauber und ihrer natürlichen Art auf Dauer nicht entziehen. Eine leidenschaftliche Affäre ist die Folge, und Kleo verliebt sich in den faszinierenden Mann. Dann erhält Yves eine neue berufliche Chance und geht fort.

Anfangs verzweifelt, wird Kleo zunehmend selbstbewusster und beginnt, auf eigenen Beinen zu stehen. Auch andere Männer bemühen sich um sie: Da sind ihr neuer Mitbewohner Jorge – und der charmante Angel. Doch kann sie Yves vergessen?

Gleich lesen: In diesem heißen Sommer

Leseprobe:
Sein Federkleid war blendend weiß. Der orangerote Schnabel mit dem schwarzen Nasenhöcker spiegelte sich in der glatten Oberfläche des Wassers und wetteiferte darin mit dem Blau des Himmels.
Seit über einer Stunde schon saß Kleopatra in dem Bistro etwas abseits des Garageneingangs und beobachtete den Schwan, der in dem Becken vor der Kathedrale majestätisch seine Runden zog. Immer wieder wanderte ihr Blick zu der mächtigen Kirche hinauf, dem Wahrzeichen von Mallorcas Hauptstadt.
Als der Kellner mit einem bezeichnenden Blick auf die längst schon leere Espressotasse wieder einmal am Tisch vorbeikam, sagte Kleo in bemühtem Spanisch: „La cuenta por favor.“
Er machte sofort kehrt. Wie aus der Pistole geschossen nannte er den Preis, und Kleo, die man nur dann Kleopatra nennen durfte, wenn man sie langfristig zu verärgern beabsichtigte, reichte ihm einen Zehn-Euro-Schein, sicher, damit keinen Fehler zu begehen, obwohl sie nicht verstanden hatte, welchen Betrag er forderte.
Kleo hasste Fehler ebenso, wie sie ihren Namen hasste. Denn wer hieß schon freiwillig Kleopatra Bienenstock?
Es war dies ein Geschenk, das sie ihren Eltern verdankte. Ihrer Mutter, um genau zu sein. Denn die war seinerzeit von den Erlebnissen ihrer Hochzeitsreise nach Ägypten dermaßen beeindruckt gewesen, dass ihre Obsession lange nach der Rückkehr ins heimatliche Österreich anhielt – zumindest jene neun Monate lang, nach deren Ablauf Kleo das Licht der Welt erblickte.
Zum Glück für den weiteren Nachwuchs blieb es bei dieser einen Reise, und Kleos Eltern verbrachten fortan ihr Leben wie bisher auch in dem überschaubaren Weinort nahe der Hauptstadt, ohne jemals wieder den Wunsch nach der großen weiten Welt zu verspüren.
So erhielt denn Kleos jüngerer Bruder den vergleichsweise harmlosen Vornamen Friedrich. Friedrich Bienenstock war auch der Name von Kleos Vater, ebenso wie der ihres Großvaters.
Friedrich Bienenstock stand daher in altmodisch rundlichen, ehemals vermutlich goldenen Lettern über dem Laden zu lesen, in dem die unterschiedlichsten Heilbehelfe angeboten wurden – jedoch nicht mehr ausschließlich.
Seit nämlich Kleos Vater im Geschäft das Sagen hatte, was zufälligerweise nicht nur zeitgleich mit seiner Eheschließung, sondern auch mit dem Ableben des bisherigen Firmenchefs zusammenfiel, hielt dort Kleos Mutter das Heft in der Hand.
Obwohl nach ihrem Schulabbruch ohne Berufsausbildung, wusste sie doch ziemlich genau, was sie von ihrem Leben erwartete. Mit Friedrich Bienenstock hatte sie es erreicht. Ab sofort war sie Geschäftsfrau.
Eine ihrer ersten Innovationen bestand darin, die goldenen Lettern über dem Geschäftsportal um einige weitere Buchstaben zu ergänzen, sodass künftig auch ihr Name dort stand: Elfi und Friedrich Bienenstock – und zwar genau in dieser Reihenfolge.
Als Nächstes beschloss sie, ihre Berufsausbildung nachzuholen.
Da ihr allerdings die Zeit, die sie in eine solide Bandagistenlaufbahn hätte investieren müssen, als überzogen lang erschien, erstand sie mehrere Eimer Kartoffeln und übte so lange, bis sie imstande war, mit dem skalpellartigen Messer nicht nur deren Schale, sondern auch die Hornhaut an den Füßen ihrer Kunden zu entfernen, ohne dass es zu unliebsamen Zwischenfällen gekommen wäre.
In weiterer Folge expandierte das altehrwürdige Unternehmen: Man bot fortan Fußpflege an – mit unerwartet großem Erfolg. Mehr und mehr erwies sich Elfi Bienenstock als tüchtige Geschäftsfrau. Sie hatte das erheiratete Unternehmen ebenso fest im Griff wie ihren Ehemann, die Angestellten und die beiden Kinder.
Da sie obendrein von leidenschaftlicher Sparsamkeit war, wuchs der Wohlstand der Familie im selben Ausmaß, in dem Fröhlichkeit und Herzenswärme abnahmen.
Nur ein einziger Punkt machte Elfi Bienenstock zu schaffen: Ihre Vernarrtheit in Friedrich Junior, ihren Sohn, in dem die sonst so praktisch veranlagte Frau ihren Meister gefunden hatte.
War sie Kleo gegenüber von kühler Strenge, wurde Friedrich alles nachgesehen. Bekam Kleo bei der kleinsten Bitte ein Ich habe kein Geld für so etwas zu hören, las die Mutter Friedrich jeden noch so ausgefallenen Wunsch von den Lippen ab, oft sogar noch früher, als er ihn überhaupt äußern konnte.
Dass sich unter diesen Umständen zwischen den Geschwistern eine tiefe Zuneigung entwickelte, grenzte an ein Wunder.
Doch Kleo hing mit hingebungsvoller Verehrung an ihrem jüngeren Bruder.
Er wurde ihr Beschützer, ihr Spielkamerad, ihr Freund. Und nicht nur einmal sorgte er dafür, dass Kleos Strafen, die sie selbst für die kleinste Verfehlung erhielt, auf seine Fürsprache hin ausgesetzt wurden – was bei Friedrichs ungleich schwerwiegenderen Missetaten unnötig war, da sie von selbst dem Vergessen anheimfielen.
Sosehr Kleo auch an dem Bruder hing, war sie dennoch nicht blind gegenüber der Entwicklung, die er nahm. Von Vater und Mutter gleichermaßen verzogen, wurden ihm niemals Grenzen aufgezeigt. Gewohnt, alles tun zu können, begann er, das Maß des Erlaubten immer öfter zu überschreiten, je älter er wurde.
Als der Kellner Kleo jetzt das schwarze Plastiktellerchen mit dem Wechselgeld brachte – an dem auch der Rechnungsbeleg säuberlich festgeklemmt war, damit ihn der Wind, der beständig vom Meer herüberwehte, nicht forttragen konnte –, wischte er so lange über den mittlerweile fleckenlos glänzenden Tisch, bis Kleo ihm einen Teil der Münzen zuschob.

Im Kindle-Shop: In diesem heißen Sommer

Mehr über und von Eva-Maria Farohi auf ihrer Website.

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