9. August 2017

'Zeiten ändern Dich' von D.W. Crusius

Kindle (unlimited) | Taschenbuch
Die Morde der rechtsradikalen Szene, die dubiose Rolle der Inlandsgeheimdienste, sind die aufgeklärt? NSU, Oktoberfest September 1980? Viele Fragen, wenig Antworten und viele Lügen.

Alexander, gerade aus dem Gefängnis entlassen, wird erpresst. Gegen seinen Willen schleust ihn der Verfassungsschutz in eine Nazi-Gruppierung ein. Sein Auftrag - er soll die Wahrheit herausfinden. Bald merkt er, dass er alles finden soll, nur nicht die Wahrheit. Allen Widerständen zum Trotz macht er sich auf die Suche.

Leseprobe:
»Machen Sie sich fertig und kommen Sie nach vorne«, sagte der Schließer. Ich steckte meine wenigen Sachen in eine Plastiktüte. Zahnbürste, das bis auf einen dünnen Rest benutzte Stück Seife, meine Wäsche. Ein grünes Handtuch der JVA ließ ich als Andenken mitgehen. In der Zellentür drehte ich mich noch einmal um, betrachtete die Wand mit den Kalenderblättern, sah zum vergitterten Fenster, blickte in den Hof. Gerade war Freistunde. Ein paar Häftlinge umrundeten den spärlichen Rasen. Ich ließ die Tür auf und ging zur Kanzel. Ein Beamter wartete ungeduldig.
»Fertig?«
Ich nickte.
Wir kamen durch mehrere Gänge, die ich bisher nicht kannte. Dann öffnete der Schließer eine Tür und deutete den Gang hinunter.
»Bis zum Ende«, sagte er mürrisch.
Ich ging über den langen, spärlich beleuchteten Gang. Heute ging ich alleine, war beinahe so etwas wie frei. Kurz vor der Tür stand mitten im Weg ein Putzeimer. Es roch aggressiv nach chemischen Reinigungsmitteln. Warum reinigen sie in Gefängnissen und Krankenhäusern mit Putzmitteln, die übler stinken, als der Dreck, den sie beseitigen wollen?
Der Mann, der zu dem Eimer gehörte, lehnte an der Wand und drehte sich eine Zigarette, zündete sie an. Ein Joint, eine süßliche Wolke hing im Gang. Mit starrem Blick sah er mir entgegen, seine Augen wanderten zu meiner Plastiktüte, saugten sich daran fest. Der wird entlassen – signalisierte ihm die Tüte. Häftlinge mit Tüten in der Hand kommen oder gehen, Insassen brauchen keine. Ich kannte den Mann flüchtig vom Hof. Schwere Körperverletzung und eine Unzahl anderer Delikte. Irgendwelche Scheußlichkeiten mit Kindern.
»Psychopath. Rückfalltäter, lange Haftstrafe«, hatte warnend ein Schließer gesagt. »Halte dich von dem fern, das ist eine Hyäne in Menschengestalt.«
Ohne ein Wort zu sagen, den Mann auch nur anzusehen, schlug ich einen Bogen um ihn und den Eimer und steuerte auf die Tür zu. Ich hörte, wie der Mann plätschernd den Schrubber in den Eimer tauchte und dann gleichmäßige, sehr langsame Wischgeräusche.
Ich sah nach oben in die Kamera an der Decke. Ein Summer ertönte und quietschend sprang die vergitterte Tür auf. In dem kleinen Vorraum gab es nur einen Schalter. Pforte in die Freiheit , oder kurz die Pforte nannten die Häftlinge den Raum.
»Na? Ist es endlich soweit?«, sagte der Mann hinter dem Schalter. Gönnerhaft klang es, als wollte er sagen – du bist bald wieder hier. Vielleicht auch – du kannst gehen, ich muss bleiben. Ich gab keine Antwort und der Mann erwartete auch keine. Vermutlich hatte er noch nie eine bekommen. Einen gesellschaftlich hohen Stellenwert haben Beamte des Strafvollzugs nicht.
»Ihr rangiert noch hinter der Müllabfuhr«, hatte ein Häftling mal zu einem Schließer gesagt. »Das stimmt«, hatte der geantwortet. »Das hier ist ja auch eine Kloake, du mieser Scheißhaufen.« Der Beamte stapelte die Sachen auf den Tresen, die man mir bei meiner Verhaftung abgenommen hatte. Meine goldene Armbanduhr, Wintermantel, Winterschuhe, meinen Pass. »Eine Tüte?« Ich nickte und er schob mir eine Einkaufstüte mit dem Reklameaufdruck eines Supermarktes über den Tresen. Einen Stuhl gab es nicht. Im Stehen zog ich mir die festen Schuhe an und schlüpfte in den Wintermantel. Aus der Seitentasche des Mantels zog ich meinen dicken Schal. Die ausgelatschten Schuhe, die ich täglich im Knast getragen hatte, steckte ich in die Tüte. Ich streckte meine Hand aus. »Fehlt noch was? Ach so, ja.« Er griff unter den Tresen, zog einen Pappkarton heraus, kramte darin herum, es klirrte. Er hielt einen Ehering hoch, ein Zettel hing dran. »Der hier?« »Wenn Irina drin steht.« Wofür hängt denn der Zettel dran oder ist das nur Dekoration? Ruhig Blut – sagte ich mir dann. Du bist nur nervös und das macht dich aggressiv. Der Beamte sah in den inneren Rand, drehte den Ring hin und her. »Russin?« Ich blickte ihn nur starr an. Der Mann sah mich weiter fragend an, als hing von meiner Antwort ab, was er mit dem Ring machen werde. Widerstrebend gab er ihn mir, schnaufte herablassend durch die Nase.
Ich brauchte den Ring nicht mehr, das ging aber niemanden etwas an. Mit missmutigem Blick streckte der Beamte die Hand aus.
»Zellenkarte.«
Ich zog die Karte aus der Tasche, wenig größer als eine Visitenkarte, zerknittert und abgegriffen. Wegen der permanenten Kontrollen auf den Gängen und auf dem Hof musste man sie ständig bei sich tragen. Der Beamte holte ein stark zerfleddertes Buch vom Schreibtisch, blätterte darin.
»Unterschreiben Sie. 53 Euro und 67 Cent«, sagte er und schob mir das Buch zu, tippte mit dem Stift auf eine Zeile. Ich unterschrieb und der Beamte zählte aus einer Kassette zwei 20-ziger, einen 10-ner und 3,67 in kleinen Münzen auf den Tresen. Das Geld, das ich bei meiner Festnahme in der Tasche hatte.
»Moment.«
Er schob das Fenster zu, kam heraus und öffnete die Tür zum Hof. Nebeneinander gingen wir quer über den Hof auf das große eiserne Tor zu. Aus einem Zellenfenster hinter mir rief jemand: »Lass dir Zeit, ich bin noch eine Weile hier.«
Ich wusste nicht, wer da rief, drehte mich auch nicht um. Ein anderer trommelte mit seinem Blechnapf gegen die Gitterstäbe des Fensters, ein weiterer fiel in das Stakkato ein, dann hämmerte der ganze Zellentrakt gegen die Gitter. Ehrensalut der besonderen Art.
Der Beamte schloss eine kleine Tür in dem großen Eisentor auf und ich ging hindurch auf die Straße.
»Ich will Sie hier nicht mehr sehen.«
Ich gab ihm keine Antwort.
Justitia, das rachsüchtige Weib, hatte mich in die Freiheit gekotzt.

Im Kindle-Shop: Zeiten ändern Dich

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