10. August 2017

'Schmitts Hölle - Entscheidung' von Joachim Widmann

Kindle | Tolino | Taschenbuch
FB-Seite zur Buchreihe | Autorenseite im Blog
Dunkle Geschäfte, politische Ambitionen, einflussreiche Partner und Unterstützer im In- und Ausland sowie der absolute Wille zur Macht ergeben bei Ex-Geheimdienstler Ralf Karlbacher, einem hochrangigen Mitarbeiter des Bundeskanzleramts, eine höchst gefährliche Mischung.

BKA-Ermittlerin Sibel Schmitt ist ihm seit Monaten auf der Spur. Doch nach Terroranschlägen in deutschen Großstädten kommt eine gefährliche Dynamik in Gang, der sie kaum gewachsen ist: Karlbacher führt eine Gruppe Männer in hohen und höchsten Regierungsämtern an, die den Stimmungsumschwung mitten im Wahlkampf nutzen wollen, um ihre eigene Agenda durchzusetzen – auch gegen den Willen des Kanzlers.

Um am Ende selbst Spitzenkandidat zu werden, ist Karlbacher jedes Mittel recht, er verfolgt sein Ziel ohne Skrupel. Nur Schmitt könnte ihn aufhalten. Doch sie gerät selbst unter Terrorverdacht. Ein ungleicher Wettlauf zwischen dem Politiker und der vom Dienst suspendierten Polizistin beginnt …

"Entscheidung“ ist der vierte abgeschlossene Thriller der Sibel Schmitt Reihe.

Leseprobe:
Berlin, Bundeskanzleramt

„Eingangs erlaube ich mir folgende Frage zu stellen: Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?“, sagt der Bundeskanzler, als die Runde zur Ruhe gekommen ist. Er streckt seinen drahtigen Körper auf dem Eames-Stuhl. Obwohl er keinen Namen genannt hat, wenden sich alle Innenminister Georg Brehmer zu, der am Kopf des Kabinettstischs sitzt und angesichts der plötzlichen Aufmerksamkeit um Haltung ringt.
Brehmer fragt zurück: „Was meinen Sie bitte, Herr Bundeskanzler?“
„Immerhin fragen Sie nicht, wen ich meine. Als wenn die Lage nicht ernst genug wäre, reden Sie von einem Weltkrieg. Ja, gegen wen oder was wollen Sie denn mobil machen, verraten Sie uns das freundlicherweise?“
Der Innenminister strafft sich ebenfalls. „Das ist nicht der Ton für eine Kabinettssitzung. Ich verbitte es mir, hier vorgeführt zu werden. Muss ich an Frankreich erinnern? Der Präsident selbst spricht dort von einem Krieg.“
Die sozialdemokratische Umweltministerin hat die Hände auf dem Tisch gefaltet. Die Knöchel sind weiß von Anspannung. „Mit Verlaub, Herr Brehmer“, fällt sie ihm ins Wort. „Sie zogen es vor, zur Kabinettssitzung vorhin nicht zu erscheinen. Dies ist eine informelle Krisenrunde, und ich gehe davon aus, dass gerade die Herrschaften von der Opposition ein Interesse daran haben, dass diese Frage geklärt wird, die Sie durch Ihre Wortwahl selbst aufgebracht haben. Sie haben zwar Recht, dass wir normalerweise einen anderen Ton pflegen, aber Ihr Ton gegenüber den Medien war nun auch nicht gerade gemäßigt.“
Der Innenminister fixiert sie. „Wie möchten Sie’s, Angelica? Soll ich Buchstaben tanzen? Ich kriege es leider nicht hin, so weichgespült über den Terror zu reden, wie Sie und Ihre Rötlichen es so gern haben.“ Er springt auf, dass sein Stuhl ins Wanken gerät. Wendet sich dem Fenster zu, hebt den Arm: „Haben Sie die Rauchsäule hinter dem Reichstag gesehen? Da brennt unsere Demokratie. Da werden Freunde und Kollegen von uns aus den Trümmern gezogen. Köln, Hamburg, München ... Es hat vielleicht Hunderte Tote gegeben, der Zugverkehr, der Flugverkehr sind eingestellt, die Autobahnen zum großen Teil gesperrt, überall Kontrollposten. Und Sie wollen nicht von Krieg reden? Schauen Sie raus: gepanzerte Polizeifahrzeuge, Wasserwerfer ... Die Mobilmachung ist längst im Gange. Aber, Herr Bundeskanzler ...“ Er stützt sich mit den Fäusten auf den Tisch, buckelt wie ein Bulle. „Wir tun das nicht für die Leute draußen im Lande. Wir tun das, um uns zu verschanzen. Und wir verschanzen uns, um unsere Illusionen zu wahren, und die sind Friede, Freude, Gewaltlosigkeit.“ Er hebt die Rechte, zeigt dem Kanzler mit dem Finger ins Gesicht: „Sie haben die Menschen die ganze Zeit eingelullt, mit Hilfe der Medien, diesem Schweigekartell, das von Einwanderergewalt nichts wissen will. Sie haben mit Islamisten paktieren wollen, Sie haben die Überfremdung unserer Städte geduldet, als wäre nichts. Die Sorgen der Bürger mochten Sie nicht hören und schon gar nicht auch nur einmal artikulieren. Es konnte passieren, was wollte, es hieß weiter nur Multikulti, Verständigung, Willkommenskultur. Die Leute draußen sind längst im Krieg, das zeigen auch die Erfolge der Rechtspopulisten. Direkt vor dem Kanzleramt standen fast zwei Tonnen Sprengstoff. Was muss eigentlich noch geschehen, bis Sie mal aufwachen, Herr ...“
„Jawoll, Deutschland erwache“, ruft Linksfraktionschef Hasibur Islam mit scharfer Stimme in die Runde. „Alle an die Wand stellen. Das wird man wohl noch sagen dürfen.“
Vereinzeltes Klatschen. Alle reden durcheinander.
Der Innenminister steht breit und geduckt mit offenem Mund und offenen Händen, als wollte er sich auf den zierlichen Oppositionsführer stürzen. Er brüllt: „Du Scheiß-Volksfeind hast erst in deinem Land für Unruhe gesorgt, und jetzt ergreifst du in unserem Land Partei für Bombenleger.“
„Hab ich Volksfeind gehört?“ ruft Hasibur Islam. „Ich hab Volksf ...“
Es knallt. Einmal, zweimal schlägt Regierungssprecherin Brandy-Sörensen die Ledermappe mit ihren Unterlagen auf den Tisch. Einige halten die Schläge für Schüsse, ducken sich, schauen mit aufgerissenen Augen zum Panoramafenster. „Es reicht“, ruft sie. „Meine Damen, meine Herren, es reicht, bitte.“ Ihre klare, tragende Radiostimme sorgt für Ruhe. „Setzen Sie sich“, sagt sie. „Alle“, fügt sie hinzu.
Aber Hasibur Islam setzt sich nicht. „Volksfeind hat der gesagt! Da ist ein Rücktritt fällig.“
Auch der Innenminister steht noch. Er will etwas sagen, aber Annett Brandy-Sörensen ist schneller: „Ihr Nazi-Spruch entsprach auch nicht unbedingt dem guten Ton, Herr Dr. Islam. Setzen Sie sich, bitte.“
Der Kanzler bringt Brandy-Sörensen mit einem sanften Griff an ihren Unterarm ihrerseits dazu, sich zu setzen. „Danke, Annett. Das war ein wichtiger Beitrag. Herr Dr. Islam, ich bitte im Namen der Regierung um Entschuldigung für die Ausfälligkeit des Herrn Brehmer. Die Nerven liegen blank, und wir wissen alle, was er für ein Heißsporn ist. Aber es wird natürlich keinen Rücktritt geben in dieser Situation, und ich erinnere noch einmal daran, dass wir für dieses ungewöhnliche Treffen in ungewöhnlicher Lage Stillschweigen vereinbart haben. Vertraulichkeit, werter Herr Dr. Islam, lieber Kollege Brehmer, bedeutet aber nicht, dass wir in dieser Weise aufeinander losgehen können, nur weil es draußen niemand sieht. Ich hoffe, wir haben uns verstanden?“
Der Innenminister und der Fraktionschef setzen sich.
Der Kanzler nickt dem Minister zu. „Sie haben weiterhin das Wort, Herr Brehmer. Ich würde vorschlagen, Sie fassen sich kurz und mäßigen für Ihre weiteren Ausführungen ein wenig den Ton.“ Er lächelt spitz. „Aber nur, wenn Ihnen das nicht das Gefühl vermittelt, Sie lullen uns ein. Ich will Ihre Wahrheiten keineswegs unterdrücken.“
In die beiden Worte „Ihre Wahrheiten“ legt der Kanzler die ganze politische Distanz und die persönliche Abneigung, die ihn seit jeher von dem Spitzenmann des rechten Flügels seiner Partei trennen.
Brehmer zerrt an seinem Krawattenknoten und löst den Kragenknopf. „Das Bundesministerium des Innern schlägt folgende Maßnahmen vor. Erstens: Bundeswehr in die Innenstädte. Die Menschen wollen sich bei dem Thema nicht länger mit verfassungsrechtlichen Bedenken herumschlagen. Israel ist auch nicht undemokratisch, weil Armee an jeder Ecke steht. Zweitens: Mehr Polizei. Ich rede nicht von der üblichen Kosmetik. Ich rede von Milliarden für Personal und Ausstattung. Drittens: Wir müssen die Gefährderdatei endlich um alle Verdachtsmomente erweitern, zentral führen und mit aller Entschlossenheit anwenden …“
Der Wirtschaftsminister lässt ein Grunzen hören. „Wie oft wollen’s dera Schmarrn noch red’n? Ham’s sich noch nicht g’nug blaue Augen geholt mit der Forderung, die Sicherheitsbehörden zu zentralisieren?“
Brehmer ballt eine Faust. „Tausende Gefährder laufen frei herum, das ist eine tickende Bombe. Da interessieren mich Ihre Bestandswahrungskämpfe auf Landesebene wenig, mit denen sie jeden Ansatz zu einer realistischen Sicherheitspolitik unserer Koalition behindern.“
„Mir gehn do ned mit, un mir san ned die Einzigen.“
„Was immer wir an zusätzlichen gesetzlichen Grundlagen brauchen, wird umgehend als Verordnung in Kraft gesetzt. Wir haben monatelang darüber debattiert. Ich finde, das reicht jetzt. Diese Leute müssen von der Straße, und zwar schnell. Viertens ...“
„Polizeistaat“, zischt Hasibur Islam. „Notverordnungen – geht’s noch?“
Kanzleramtsminister Horn wirft ein: „Ob das rechtens ist, werden im Zweifel das Verfassungsgericht oder der Bundesgerichtshof zu klären wissen. Aber wir sind uns doch einig: Es muss etwas geschehen.“
„Das ist Aktionismus“, stellt die Umweltministerin fest. „Eine Einschränkung der Freiheitsrechte für Tausende Menschen bedarf eines anständigen Gesetzgebungsverfahrens. Das können wir nicht übers Knie brechen.“
„Von den rechtlichen Bedenken einmal abgesehen, woher soll ich die Leute nehmen, um Bundeswehr in die Innenstädte zu befehlen?“, fragt der Verteidigungsminister.
„Allgemoane Wehrpflicht, du Zivilist, schonmal g’hört?“, ruft ihm der Wirtschaftsminister in launigem Ton zu. „Des is fei ned so neu.“
„Es darf im Grunde auch kein Tabu mehr sein, dass wir mehr tun als Schulen und Straßen zu bauen in den Herkunftsländern dieser Terroristen“, wirft Kanzleramtsminister Horn ein. „Wir sehen ja, wohin unsere vornehme Zurückhaltung führt.“
Stimmengewirr, aus dem Schlagworte wie „Scheiß-Appeasement“ und „Westentaschen-Rommel“ herausklingen.
„Kollegen“, ruft der Bundeskanzler. „Bitte. Wir werden noch ausgiebig diskutieren können.“
Eine gewisse Unruhe bleibt, aber alle schweigen.
„Bitte“, sagt der Kanzler wieder und nickt dem Innenminister zu.
„Ich weiß nicht, was Sie wollen“, brummt Brehmer. „Schauen Sie ins Grundgesetz. Die Notstandsverfassung korrekt ausgelegt, können wir viele Maßnahmen ergreifen, die unter diesen Umständen notwendig sind. Bis dahin, dass wir bei Gefahr für die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung die Freizügigkeit einschränken können – Artikel 11. Da braucht es keine neuen Regeln – nur endlich Konsequenz.“
„Grunzordnung“, murmelt Islam und erregt verhaltene hysterische Heiterkeit.
„Herrschaften“, ruft der Kanzler.
„Viertens“, setzt Brehmer fort und blickt in die Runde. „Wir müssen das Strafrecht reformieren. Es kann nicht sein, dass die Polizei gerade bei Tätern aus dem islamischen Spektrum immer wieder erlebt, dass einer grinsend als freier Mann aus dem Gerichtssaal spaziert ... “
„Hört, hört“, ruft die Justizministerin. „Steile Forderung, aus Social-Media-Posts von Wutbürgern direkt ins Kanzleramt ...“
Hasibur Islam: „Sonderstrafrecht auf der Basis des Bekenntnisses? Da bin ich aber gespannt, was das Verfassungsgericht dazu sagt.“
Der Wirtschaftsminister brummt: „Also wenn mir dös ned irgendwie g’meinsam hinkrian, dann miassen mir Bayern die Führung übernehman.“
Die Justizministerin stellt fest: „Strafrecht ist definitiv Bundessache, mein Lieber.“
Horn: „Es bleibt dabei, dass wir alle Gefährder in gleichem Maße betrachten. Aber niemand kann uns daran hindern, die jeweils aktuelle Gefahrenlage …“
Islam: „Na also! Da haben wir’s doch wieder!“
Horn: „Und die Geheimdienste sind bereit, ihre Daten …“
„Die sind doch auch schon illegal erho …“
Alle reden.
„Hey“, ruft der Kanzler. „Silentium!“ Und sieht dabei aus, als hätte er auf etwas Faules gebissen.
Der Innenminister fährt fort: „Kopftuchverbot, Deutsch-Pflicht in allen Moscheen, hohe Strafen bei Verstößen ...“
Hasibur Islam: „Muslime tragen künftig einen grünen Fleck an der Kleidung.“
„Di kriagn ma a no, Burschi“, knurrt der Wirtschaftsminister, scharf beäugt von der Justizministerin.
„Fünftens und zuletzt – das hat jetzt nichts mit meinem Ministerium zu tun, mehr schon mit persönlicher politischer und staatsbürgerlicher Verantwortung. Unser Land ist stark polarisiert. Nach diesen Anschlägen wird der Wahlkampf erst recht eine Katastrophe. Die Rechten werden triumphieren, und die standen schon vor diesen Anschlägen über achtzehn Prozent. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir tragen vor unserer Geschichte die Verantwortung dafür, dass dieses Land nicht in diese Richtung driftet. Und dieser Verantwortung werden wir nicht gerecht, indem wir die Dinge nicht beim Namen nennen. Die Realitätsverweigerung muss ein Ende haben.“ Er holt tief Luft. „Wir sollten ein Zeichen setzen für Glaubwürdigkeit. Die Zeit der Leisetreterei ist vorüber. Wir müssen endlich handeln, statt zu debattieren. Entschlossenheit zeigen. Ich sage nur: Stichwort Kopftuchverbot. Stichwort Vergeltung – keine Tabus. Wir sehen ja, wie weit wir damit kommen, unser Land immer schön aus allen ernsthaften Konflikten rauszuhalten.“
Der Verteidigungsminister schüttelt den Kopf. „Was nicht noch alles“, murmelt er.
„Kurzum“, sagt Brehmer: „Ich finde ganz entschieden, es braucht einen Wechsel.“
Jetzt ist es still bis auf das Hämmern der Hubschrauberrotoren über dem Regierungsviertel.
Der Innenminister blickt in die Runde. Schweiß glänzt auf seinem Gesicht. Seine Augen sind gerötet, feucht. „Es braucht ein neues Gesicht in der ersten Reihe.“

Blick ins Buch (Leseprobe)

Labels: ,

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite