24. November 2016

'Tödliche Meeresnacht' von Eva-Maria Farohi

Jeder Mörder hinterlässt eine Spur, man muss sie nur finden. Davon ist Chefinspektor Vicent Rius überzeugt. Als er auf der Mittelmeerinsel einen scheinbar einfachen Unfalltod untersuchen soll, entdeckt er schnell Ungereimtheiten: Wer ist die schöne Tote unter den Klippen wirklich – und welche Rolle spielt ihr Ehemann? Immer tiefer dringt der erfahrene Ermittler in ein Netz aus Lügen, Betrug und Habgier ein, bis nichts mehr so ist, wie es scheint, und die Unschuldigen zu Schuldigen werden.

Eine Kriminalgeschichte aus Mallorca.

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Leseprobe:
„Ich habe keine guten Nachrichten. Ihre Frau ist tot.“
Ben Höffner hätte nicht gedacht, dass ihn noch irgendetwas erschüttern könnte.
Regungslos starrte er die Anwältin an, die ihm gegenübersaß. Das Konsulat hatte sie empfohlen.
Der kahle Raum der Gefängnisanstalt war nicht nur wegen seiner Schmucklosigkeit kalt. In den letzten Tagen hatten die sinkenden Temperaturen die Mauern stark abgekühlt. Es ging auf Weihnachten zu.
„Wieso …“, begann er. Und brach ab.
„Man hat sie vor zwei Tagen gefunden, in der Nähe Ihres damaligen Hotels, unterhalb der Klippen.“
Beinahe fünf Monate schon saß Ben jetzt in diesem Gefängnis und er war sich sicher, dass er die Tat, die man ihm zur Last legte, niemals begangen haben konnte. Seine Frau musste es ebenfalls gewusst haben. Jetzt war sie tot.
„Wie ist es passiert?“, fragte er.
Die Anwältin zuckte die Schultern.
Sie war eine hagere Person mittleren Alters. Alles an ihr schien ein wenig grau zu sein. Zu dem Tweedkostüm mit dem Karomuster trug sie eine weiße Bluse mit einem ordentlich gebügelten Kragen. Ihre Stimme klang wie das Geräusch von aneinanderreibenden Kieselsteinen.
„Sie dürfte ausgeglitten sein. Die Felsen bei der Bucht sind nass und rutschig.“
Ben nickte. Wie in einem Karussell drehten sich seine Gedanken im Kopf, und obwohl die Gespräche in dem kahlen Besuchsraum für gewöhnlich seine einzige Ansprache darstellten, wünschte er sich in die Einsamkeit der Zelle zurück, die ihm viel zu lange schon als Wohnort diente.
Marlene. Er sah sie vor seinem inneren Auge, wie sie strahlte, lachend, in einem der von ihr so sehr geliebten roten Kleider. Genauso wie damals, als er ihr zum ersten Mal begegnet war. Der federnde Gang. Die biegsame Gestalt, ihr schlanker Körper, die schneeweißen Arme.
An seinem Hochzeitstag war er der glücklichste Mann gewesen.
Wann genau hatte dieser ganze Albtraum begonnen? Er wusste es nicht.
In all diesen endlosen Monaten hatte er jeden einzelnen Tag darüber nachgedacht. Ohne Erfolg.
Fünf Jahre waren sie miteinander verheiratet gewesen. Immer noch hatte er sich für genauso glücklich wie zu Beginn seiner Ehe gehalten.
Bis zu diesem Juli.
Erst zwei Tage zuvor waren sie auf der Insel angekommen. Mallorca. Eine ganze Woche wollten sie zusammen ausspannen, in dem kleinen Landhotel fernab von der Küste.
Es war ein hübsches Steingebäude mit blaugrauen Fensterläden. Unter den hohen Bögen, die die Terrasse des oberen Stockwerks trugen, konnte man wunderbar im Schatten entspannen. Mehrere Korbstühle standen hier, große Grünpflanzen in Terrakottatöpfen. An der Seite des Gebäudes wucherte eine lilafarbene Bougainvillea. Glasklar funkelte das Wasser im Pool. Schwappte mit leisem Gluckern in die Überlaufrinne.
Rundum war nichts — nur kahle Erde, auf der in endlosen schnurgeraden Reihen Mandeln und Feigenbäume wuchsen. Präzise grenzten die unzähligen Trockenmauern die einzelnen Grundstücke von einander ab.
Vereinzelt konnte man auf den umliegenden Hügeln noch andere Gehöfte sehen. Überall weideten Schafe. Das Bimmeln ihrer Glocken war weit und breit das einzige Geräusch. In endloser Ferne schimmerte das Meer.
Von Anfang an hatte er sich hier wohl gefühlt. Marlene ging es genauso. Oder war das nur eine Täuschung gewesen?
„Lass uns heute Abend hierbleiben“, hatte sie geflüstert und ihn umarmt.
Im Schutz der hohen Bögen waren einige wenige Tische gedeckt, an denen man zu Abend essen konnte. Kleine Laternen verbreiteten ein sanftes Licht auf der Terrasse, überall standen Kerzen. Rubinrot schimmerte der Wein in ihren Gläsern.
In derselben Nacht hatten sie sich geliebt. Immer noch vermeinte er den Duft ihrer Haut zu riechen.
Jetzt saß er in seiner Zelle, auf dem unteren der beiden Betten. Mattes Licht drang durch das vergitterte Fenster. Mit seinen Fingern zerwühlte er das Haar, vergrub die Stirn in den Handflächen.
„Was ist dann passiert?“, fragte er sich, wie schon tausende Male zuvor.
Am nächsten Morgen war er mit Kopfschmerzen aufgewacht.
Der Wein muss schlecht gewesen sein,war sein erster Gedanke gewesen, ehe er mit der Hand nach der anderen Seite tastete. Sie war nicht da. Er streckte sich aus und lächelte.
Einige Minuten später rief er ihren Namen — irgendwann ging er ins Bad.
Es war leer.
Wo war Marlene?
Schnell zog er seine Hose über und trat hinaus auf die Terrasse.
Im Osten kämpfte sich die Sonne durch die Wolkengebirge am Horizont. Ihr gleißendes Licht ließ das Meer hell glänzen. Er stand im Morgenlicht.
Auf die Brüstung gestützt sah er hinunter in den Garten.
Kein Mensch war zu sehen.
Er drehte sich um, ging durch das Appartement zurück in Richtung der Tür und bemerkte die Vase, die auf dem niedrigen Couchtisch gestanden hatte.
Sie lag auf dem Boden und war zerbrochen.
Er bückte sich, hob die größten Teile auf und legte sie auf den Tisch zurück.
Dann erst ging er zur Tür, öffnete sie leise und trat auf den Flur hinaus.
Außer ihm schienen noch alle zu schlafen. Im Haus war kein einziges Geräusch zu hören.
Die schwere Eingangstür aus Eichenholz knarzte leise, als er sie öffnete.
Auf dem Weg um das Haus herum begegnete ihm niemand. Automatisch sah er hinüber zu dem kleinen Parkplatz. Der Leihwagen stand noch genauso dort, wie er ihn abgestellt hatte.
Wo war Marlene?
Er setzte sich auf die Stufen und wartete. Langsam nur vergingen die Minuten.
Irgendwann später erwachte das Haus zum Leben.
Man hörte das Klappern von Besteck, es roch nach Kaffee.
Dann wurde die Tür geöffnet und der Eigentümer des Hauses trat auf die Terrasse.
„Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?“
Ben stand auf. „Haben Sie meine Frau gesehen? Sie ist nicht hier.“
„Nein, bedaure. Vielleicht ist sie spazieren gegangen. Oder zum Meer gefahren. Der Sonnenaufgang ist wunderbar.“
„Der Wagen steht hier.“
„Sie könnte ein Stückchen weiter gegangen sein als geplant. Bestimmt kommt sie bald zurück. Machen Sie sich keine Gedanken. Bei uns passiert niemandem etwas.“ Der Mann lächelte verbindlich.
Ben nickte und steckte die Hände in seine Hosentaschen.
Unruhig trank er einen Kaffee, mochte nichts frühstücken, ging dann zurück ins Zimmer.
Er öffnete den Schrank. Alles hing ordentlich auf den Bügeln. Dabei fiel sein Blick auf die gepolsterte Sitzgarnitur, und er bemerkte, dass Marlenes Handtasche fehlte. Auch ihr Handy konnte er nirgends sehen.
Sofort griff er zu seinem eigenen Telefon und wählte die Nummer, doch niemand meldete sich. Das Gerät war offenbar ausgeschaltet.
Abermals durchquerte er die kühle Eingangshalle, trat hinaus in das helle Sonnenlicht und ging durch das Tor auf den unbefestigten Weg zu, der als Zufahrt diente.
Er kam an niedrigen Steinmauern vorbei, ging weiter zwischen den graslosen Grundstücken, auf denen Schafe nach etwas Fressbarem suchten. Einige Mandelbäume spendeten spärlichen Schatten, manchmal konnte man die weit ausladende Krone eines Johannisbrotbaums sehen. Kräftig brannte die Sonne herab. Die Luft schien zu flimmern.
Er bemerkte nichts von alledem,ging er weiter, bis er die asphaltierte Straße erreichte. Auch hier war nichts zu sehen.
Als er zurückkam, suchte er nach dem Eigentümer und fand ihn in seinem Büro.
„Bitte verständigen Sie die Polizei. Meiner Frau muss etwas zugestoßen sein.“
Man versuchte, ihn zu beruhigen. „Sie werden sehen, alles klärt sich auf. Ihrer Frau ist bestimmt nichts passiert.“ Das Lächeln auf dem Gesicht seines Gegenübers irritierte ihn.
Dennoch bestand er darauf, dass der Mann bei der Behörde anrief.
„Die Polizei kümmert sich darum. Wenn Ihre Frau einen Unfall gehabt hat, werden wir es bald erfahren“, war alles, was man ihm mitteilte.
Wieder wartete er. Er ging den Weg über die Terrasse hinaus bis zum Ende der kleinen Mauer und wieder zurück.
Die sengende Hitze spürte er nicht, merkte erst, dass er Durst hatte, als man ihm ein Glas Wasser brachte.
Irgendwann kam dieses weiße Motorrad angefahren, mit dem auffälligen Streifen aus kleinen blau-weißen Quadraten.
Der Polizist war freundlich, sprach gut Deutsch.
Er hörte Ben zu und brauste wieder davon.
Am späten Nachmittag fuhr ein Wagen vor. Zwei Männer in Uniformen stiegen aus und gingen in Richtung des Eingangs.
Als Ben die Halle betrat, sah er die beiden mit dem Hotelbesitzer sprechen.
„Was ist mit meiner Frau? Haben Sie sie gefunden?“
Sie drehten sich nach ihm um.
„Ben Höffner?“, sagte der eine der beiden knapp und schwieg dann.
Ben spürte, wie sie ihn musterten, obwohl er ihre Augen hinter den dunklen Sonnenbrillen nicht erkennen konnte.
Er nickte.
„Herr Höffner, würden Sie so nett sein und den Beamten Ihr Appartement zeigen“, meldete sich der Eigentümer zu Wort.
„Ist etwas mit meiner Frau passiert? Hat man sie gefunden?“
„Bitte beruhigen Sie sich. Ihrer Frau dürfte es einigermaßen gutgehen. Sie hat sich gemeldet.“
„Bei wem? Wieso nicht bei mir? Sie verheimlichen mir doch etwas!“
Der Hotelbesitzer nahm den Schlüssel für das Appartement von dem entsprechenden Haken.

Im Kindle-Shop: Tödliche Meeresnacht

Mehr über und von Eva-Maria Farohi auf ihrer Website.

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