9. November 2016

'Das Flehen der Engel' von Mark Franley

„Es war mehr als ein Schrei, es war das zum Geräusch gewordene Grauen."

Mitten in Nürnberg taucht eine junge, völlig verstörte Frau auf. Hauptkommissar Lewis Schneider ist schockiert, glaubt aber zunächst nicht an einen Fall für die Mordkommission. Erst als offensichtlich wird, welches Martyrium das Opfer durchlitten hat, wird klar: Es geht nicht mehr nur um ihr Leben.

Aus zunächst einfach erscheinenden Ermittlungen wird bald die Jagd nach einem Monster, dessen Motivation unfassbare Ausmaße annimmt.

„Das Flehen der Engel" entführt den Leser tief in die absurd-kranken Gedanken eines Psychopathen, dessen Taten jenseits der menschlichen Vorstellungskraft liegen.

Gleich lesen: Das Flehen der Engel: Psychothriller (Lewis Schneider 2)

Leseprobe:
Getragen von den schwermütigen Klängen, mit denen Vivaldi in seiner Komposition der Vier Jahreszeiten den Sommer beschrieb, glitt der Strahl des Hochdruckreinigers über die mattschwarzen Fliesen. Kurz unterhalb der Gewölbedecke beginnend, reinigte er den Raum mit oft geübten Bewegungen, wobei er peinlich darauf achtete, auch keines der steinernen Quadrate auszulassen. Wie gerne hätte er diesen Akt der Erneuerung ohne die lästige Gasmaske vollzogen, was die dünne Chlorverbindung des Reinigungsmittels aber leider nicht zuließ. Zeitgleich mit den explodierenden Klängen der klassischen Musik löste er seinen Finger vom Abzug der Düse und ließ diese zu Boden gleiten. Mit geschlossenen Augen stand er einfach nur da und genoss das Spiel der Instrumente ohne das barbarische Lärmen des Hochdruckreinigers.
Nachdem die Musik wieder an einer ruhigeren Passage angelangt war, rief er sich zur Ordnung und wechselte in den Nebenraum – dort gab es wesentlich mehr zu tun. Wie immer zog er zunächst das komplett befleckte Laken von der in Kunststoff eingeschweißten Matratze und stopfte dieses in einen Beutel aus reiner, gut waschbarer Baumwolle. Anschließend sammelte er die vielen herumliegenden Tücher ein, ließ sie dem Laken folgen und stellte alles zusammen vor die schmale Kellertreppe. Nachdem das erledigt war, kehrte er in das dunkle Gewölbe zurück, wischte die Feuchtigkeit vom Boden und ordnete die Ketten in ordentliche Bahnen, sodass die vier Ringe genau symmetrisch zueinander lagen.
Im perfekten Einklang mit dem Ende des Musikstücks war auch diese Arbeit abgeschlossen. Blieb nur noch, die ebenfalls gefliesten Abdeckungen der schmalen Lüftungsluke zu entfernen, um das restliche Trocknen der Räume der angenehm milden Nachtluft zu überlassen.
Zufrieden und wehmütig zugleich räumte er den Hochdruckreiniger in eine kleine Nische im Fels, verstaute die Gasmaske daneben und sah sich zufrieden um. Nachdem nichts mehr von seinem Werk zu sehen war, nahm er den Baumwollsack, stieg die Kellertreppe nach oben und verschloss die Luke.
Während die Waschmaschine zusammen mit einer ordentlichen Menge Chlor die letzten Spuren beseitigte, nahm er sich des anderen Auftrags seines Gottes an. Die Stille der Nacht genießend, kopierte er jede Sequenz des Films auf einen kleinen USB-Stick, steckte diesen in einen Umschlag und verschloss diesen sorgfältig. Nach einem gewissenhaften Blick zur Uhr, die ihm noch sechs Stunden Schlaf plus eine Stunde zur freien Verfügung vorhersagte, legte er den Umschlag hinter den losen Backstein und begab sich erneut in den Keller hinab.
Er ignorierte die letzten feuchten Spuren zwischen den schwarzen Fliesen, setzte die Verkleidungen der Lüftungsluke zurück an ihren Platz und legte sich dann in die Mitte des dunklen Zimmers. Es war ihm sehr wichtig, das Gewölbe Zimmer zu nennen, denn die kalten Wörter Raum oder Kellergewölbe konnten niemals so viele Gefühle ausdrücken wie das Wort Zimmer. Schließlich gab es auch Wohnzimmer, Esszimmer, Schlafzimmer … und nicht zuletzt gab es Kinderzimmer.
Völlig in sich gekehrt legte er nun ein Ohr auf die schwarzen Fliesen, von denen er sich einbildete, dass sie noch immer etwas von der Wärme des Körpers gespeichert hatten. Seine entspannt geschlossenen Augen steigerten das, auf was es ihm nun am meisten ankam, die Fähigkeit des Hörens. Wie er aus Erfahrung wusste, konnten die kleinen Steinplatten das Erlebte nicht sehr lange konservieren, und so musste er die wenige Zeit nutzen, um das langsam versiegende Leben vollständig auszukosten. Angefixt durch die energiereichen Schwingungen, welche er über sein Ohr in sich aufnahm, hielt er der Versuchung nicht lange stand. Losgelöst von jedem weltlichen Gedanken, entkleidete er sich Stück für Stück und legte alles ordentlich zusammengefaltet auf die Seite. Dann legte er sich erneut auf den langsam erkaltenden Boden, der ihn all die wunderbaren Stunden noch einmal erleben ließ und wo ihm der Gedanke an die nächste Ernte wohlige Schauer über den Rücken jagte.

Im Kindle-Shop: Das Flehen der Engel: Psychothriller (Lewis Schneider 2)

Mehr über und von Mark Franley auf seiner Website.

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