31. Oktober 2016

'Bluttempel' von Martina Schmid

In einem idyllischen, kleinen Ort an der Donau verschwindet eine junge Frau spurlos. Kurz darauf findet man ihren Slip und ihr Handy. Gleichzeitig werden bei einer nahe gelegenen Staustufe Leichenteile geborgen. Der Verdacht fällt zunächst auf den psychisch kranken Ehemann Martin Brenner. Eine plötzlich auftauchende Zwillingsschwester der vermissten Frau stiftet zusätzlich Verwirrung und löst eine Kette von verhängnisvollen Reaktionen bei ihm aus …

Während einer Rückführung bei einem Psychotherapeuten taucht Brenner in ein früheres Leben im Jahre 1830 ein. Dort offenbart sich ihm ein unglaubliches, mörderisches Geheimnis um einen alten Ruhmestempel.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Vorfällen in seinem früheren Leben und dem Verschwinden seiner Frau im Jetzt?

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Leseprobe:
Majestätisch steht sie da. Mächtig und strahlend im Glanz des Sonnenlichts. Ganz hineingehörend und mit ihrer Umgebung verwachsen zu sein, scheint sie. Stolz überragt ihre Silhouette das Land. Prächtig aufragend, mit blendend weißen Säulen, ist sie fast schöner als ihr griechisches Vorbild. Oh du, meine Göttin! Gesegnet bist du mit immerwährender Schönheit. Wie massiv und doch durchscheinend dein Korpus ist! Niemals würdest du herabsteigen von deinem hohen Throne - und unter dir die weite Donauebene …

Ob König Ludwig sie auch so bestaunte, als 1842 sein Bauwerk fertig gestellt war? Die Walhalla, die drüben auf dem Bräuberg stand und auch heute noch dort steht? Es war ein kalter, nebliger Samstagnachmittag im Februar 2012. Der Blick nach draußen verursachte in ihm eine ungemütliche, beinahe bedrohliche Stimmung. Martin stand mit verschränkten Armen in seinem Arbeitszimmer und starrte durch das beschlagene Fenster. Von hier aus konnte er sie sehen. Fast protzig wirkte sie: Die Walhalla. Weit oben, eingebettet und geschützt in einem Meer von Bäumen. Ein nie gekanntes Gefühl der Ruhe durchströmte Martin und ergriff ihn in seiner ganzen Person, traf sein Innerstes mit voller Wucht. Sein Herzschlag wurde schneller. Es war ein Gefühl wie angekommen sein. Er schloss die Augen, atmete tief und langsam ein. Dann fiel sein Blick kurzzeitig auf das Bild, das auf der antiken Holzkommode neben dem Fenster stand. Es zeigte eine knapp dreißigjährige Frau mit ovalem Gesicht, aus dem ihn lebhafte meerblaue, schräg geschnittene Augen mit langen Wimpern anlächelten. Doch das Lächeln wirkte unecht, beinahe gequält. Ihr hellbraunes, gescheiteltes Haar fiel in weichen Locken über die Schultern.

Martin Brenners Haus stand auf der anderen Seite des Flusses. Nur die Donau und ein paar davorliegende Felder trennten ihn von dem monumentalen Bauwerk, das ihn in diesem Moment wieder anstarrte. Ja, es starrte ihn an! Gestern, heute, morgen. Immer, wenn er in diesem Zimmer im ersten Stock des vor knapp fünf Jahren mit seiner Frau Barbara gebauten Hauses stand und aus dem Fenster sah. Die Walhalla hatte von Anfang an eine eigenartige Faszination auf ihn ausgeübt … Die Luft im Zimmer war abgestanden. Er öffnete trotz der eindringenden Kälte das Fenster und hörte in der Ferne das Kreischen der Krähen. Manchmal landete eine abrupt auf den kahlen, schneebedeckten Feldern.
Die Frau auf dem Bild, die Martins Blicke wieder auf die Kommode lenkte, hieß Barbara. Oder Bärbel? Es gab Momente, in denen er sich nicht mehr sicher war. Momente, in denen er an seinem Verstand zweifelte. Das machte ihm Angst. Doch es machte ihm noch mehr Angst, dass diese Angst von Woche zu Woche wuchs. Sie hatte sich in seinem Kopf wie ein wucherndes Krebsgeschwür manifestiert.
„Barbara.“ - Gedehnt und fast tonlos glitt ihr Name über seine Lippen. Er nahm das Bild in die Hand und betrachtete es liebevoll. Barbara war eine Schönheit, zweifellos. Und sie war perfekt. Schlicht und ergreifend perfekt. Jeder andere Vergleich wäre fehl am Platz gewesen. Vom Haaransatz bis zu den Zehenspitzen war sie für ihn gemacht. Das tiefe, unergründliche Blau ihrer Augen, das sich nicht mit Worten beschreiben ließ, hatte ihn vom ersten Augenblick, da er ihr begegnet war, fasziniert. Sie war das Abbild menschgewordener Göttlichkeit. Mit zittrigen Fingern streichelte er sanft und fast unspürbar ihre Stirn. Sie sollte nur für ihn leben. Mit jeder Faser ihres Körpers. Sie war wie ein Geschenk des Himmels. Doch ebenso wie er fasziniert war von ihr, war er in ihr gefangen. Und er musste sie beschützen. Er war lange euphorisch geblieben. Doch zuviel Euphorie birgt Enttäuschung. Und Enttäuschung schmerzt. Immer mehr, bis er es nicht mehr würde ertragen können. Niemand sollte sie ihm wegnehmen können. Diesen Gedanken trug er seit einiger Zeit in sich …
Das Klingeln an der Haustür ließ Martin hochschrecken. Schnell stellte er das Bild auf die Kommode zurück. Er hörte, wie Barbara die Haustür öffnete und Jasmina begrüßte. Im Hintergrund vernahm er Olivers Stimme. Oliver Neuhaus war Martins langjähriger Freund und seit kurzem auch sein Arbeitskollege. Jasmina würde schon bald Olivers zukünftige Frau werden. Beide wollten noch in diesem Jahr heiraten. Oliver hatte Martin seinen Posten als Schichtführer in der Produktion im Kalkwerk Schwabelweis zu verdanken, denn dieser hatte sich für ihn eingesetzt, als die Stelle frei wurde. Martin war Betriebsschlosser und langjähriger Mitarbeiter der Firma. Oliver stammte, wie auch Martin, aus Sarching, einer kleinen Ortschaft östlich von Regensburg, die knapp neunhundert Einwohner zählte. Oliver war aus beruflichen Gründen für einige Jahre nach München gegangen, während Martin auf dem von seinem Vater geerbten Grundstück in der Pfarrgasse ein modernes Einfamilienhaus errichtet hatte.

Im Kindle-Shop: Bluttempel

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