17. November 2015

"Sieben Seelen" von Alex Turow

Möchte man Ethan Savage kennen? Möglicherweise. Ihn einen Freund nennen? Das schon weniger. Ihn zum Feind haben? Auf keinen Fall!

Ethan hat seit seiner Kindheit den Tod einiger Menschen auf dem Gewissen. Nein, das ist nicht ganz richtig, denn ein Gewissen besitzt er nicht. Nun hat er es auf seine Frau Megan abgesehen, doch er will sie nicht umbringen. Er kann sie nicht umbringen, weil er dann alles verlieren würde. Also hängt er ihr einen Mord an und zwingt sie in die Flucht vor der Polizei, die bald ihr Ende finden dürfte, so perfekt hat er alles geplant. Aber Ethan ahnt nicht, dass sechs der Menschen, für deren Tod er verantwortlich ist, ihn auf Schritt und Tritt begleiten.

Leider können sie nichts ausrichten, nichts bewegen und nichts verhindern! Als die siebte Seele zu ihnen stößt, ändert sich das. Und jetzt könnte es gefährlich werden für ihn, denn seine Geschäftspartner sind Menschen, gegen die selbst Ethan so sanftmütig wirkt wie der Dalai Lama. Der perfide Plan, seine Frau aus seinem Leben zu entfernen, droht zu scheitern und Ethan weiß nicht, dass sowohl die DEA als auch das FBI seinen Geschäften auf der Spur sind und einige davon sind unbeschreiblich furchtbar ...

Gleich lesen: Sieben Seelen

Leseprobe:
An einem Sommertag vor etwa dreißig Jahren entschlossen sich zwei Jungs, den alten Steinbruch in der Nähe von New Salisbury zum Spielen aufzusuchen. Genau genommen wollten Ethan und Mark nicht dort spielen, sondern nach Fossilien suchen. Eigentlich wussten beide, dass dies in Maine keine aussichtsreiche Angelegenheit war, denn jener Teil Neuenglands hat aus Sicht eines Paläontologen so gut wie nichts zu bieten. Auch mit dem Abbau von Gestein hatte man hier schon vor Jahren aufgehört, weil es sich kaum mehr lohnte. Seitdem nutzten viele diesen Ort als illegale Müllkippe und entsorgten dort Dinge wie Kühlschränke und Elektroherde. Alles in allem bot der Steinbruch eine wunderbare Kulisse für manches Abenteuer, wenn man ein zehnjähriger Junge war. Einer von beiden hatte durchaus noch andere Gründe für diesen Ausflug.
Ethan und Mark, Freunde seit der Einschulung, gingen noch immer in dieselbe Klasse. Auch ihre Eltern kamen gut miteinander aus und waren mehr als flüchtige Bekannte. Dennoch lag nun ein dunkler Schatten auf der Beziehung zwischen den Jungs und sie hätten den Schatten gerne wieder durch Sonnenschein ersetzt. Sonne gab es genug an jenem Tag und es hätte ein wunderbarer werden können, unbeschwert und voller spannender Dinge, die man erleben kann, wenn man ein Kind ist und Sommerferien hat. Diese Ferien hatten gerade erst begonnen, der Rest lag vor ihnen wie ein festliches Mahl, von dem man erst ein wenig genascht hatte. Und doch war Mark nicht so glücklich, wie er es hätte sein sollen, denn die Strategie beider Kinder zur Lösung ihres Problems war völlig unterschiedlich. Mark wollte, dass alles so würde wie früher. Dafür hätte Ethan jedoch etwas tun müssen, zu dem er nicht bereit war. Stattdessen überlegte dieser, wie er seinen Freund zum Schweigen bringen könnte. Vielleicht für immer. Aber davon ahnte Mark nichts. Ethan war ein guter Schauspieler.
Es war gegen zehn Uhr morgens, als sie am Fuße der fünfundzwanzig Meter hohen Steilwand des Steinbruchs ankamen. Marks Mom hatte ihnen ein paar Sandwiches und Eistee in einer Thermoskanne mitgegeben. Sie hatten kleine Hämmer und einen Rucksack dabei, in dem all das Platz fand und noch genug Raum für ihre fossilen Funde bieten würde. Viele Stunden Sonnenschein lagen vor ihnen. Es war ein sehr warmer Sommer und gegen Mittag konnte es im Steinbruch sehr heiß werden, vielleicht 35 Grad Celsius. Das lag schon in der Luft, die von der Sonne geröstet, nach Ozon roch.
Während des etwa einstündigen Marsches in Turnschuhen und kurzen Hosen hatten sie fast nur geschwiegen. Als sie ankamen, ließ Ethan den Rucksack fallen und setzte sich auf einen Felsen. Er holte den Eistee hervor und reichte Mark die Thermoskanne.
»Danke, Mann«, sagte Mark und nahm einen Schluck. »Das wird echt warm heute.«
Ethan nickte. »Genau. Deswegen sollten wir sehen, dass wir raufkommen, solange es noch geht.«
Mark runzelte die Stirn.
»Worauf?«
Ethan deutete auf den Steilhang.
»Da rauf.«
Mark schüttelte den Kopf und lachte.
»Und wie?«, fragte er skeptisch.
»Ich kenne einen Weg. Der führt an der östlichen Seite durch den Wald. Bis auf die halbe Höhe und da ist dann ein Grat. Da kann man rüber auf die andere Seite, denn es gibt einen Pfad, der bis ganz nach oben geht.«
Mark kniff die Augen zusammen.
»Ich seh` keinen Grat.«
»Doch!«, meinte Ethan und stand auf. »Er ist nicht sehr breit. Von unten kannst du es nicht so gut sehen. Aber ich kenn` den Weg, glaub` mir.«
Mark sah ihn an und seufzte.
Er war nicht froh darüber, dass von dem Vertrauen zu seinem Freund in letzter Zeit wenig übrig geblieben war. Mark hatte schon in Betracht gezogen, Ethan nicht mehr zu treffen, wenn er seine Schuld nicht zugäbe. Aber seine Eltern würden dann Fragen stellen. Musste er sie ehrlich beantworten, hätte er keine Wahl, als Ethan zu verraten. Und Mark war ein Junge mit Idealen. Vertrauensbruch war nicht akzeptabel, genauso wenig wie das Lügen und natürlich das, was Ethan getan hatte.
Seit einigen Tagen wusste Mark, dass Ethan ein Dieb war.
Und ein geschickter noch dazu.
»Echt, Mann, das ist mir zu gefährlich. Und außerdem: Was sollen wir da oben?«
»Sei kein Frosch! Das ist geil! Außerdem finden wir da bestimmt etwas. Da kommt ja niemand so einfach hin!«
Mark war klar, dass Ethan auf diese Weise weitermachen würde, bis er ihn mürbegemacht hatte. So war das zwischen ihnen immer gelaufen. Im Grunde genommen gab ausschließlich Ethan den Ton an und das nervte manchmal. Doch es hatte auch Vorteile, mit ihm befreundet zu sein, vor allem, wenn man ein zierlicher Junge wie Mark war. Denn an Ethans Seite brauchte man sich keine Sorgen zu machen, in der dunkelsten Ecke des Schulhofes Hundescheiße essen zu müssen. Jeder wusste, dass die beiden Freunde waren und niemand traute sich deshalb an Mark heran. Das lag nicht daran, dass Ethan ein so großer kräftiger Junge war. Nein, aber Ethan konnte eine Wut freisetzen, die jedem Angst machte. Dann war etwas in seinen Augen, was einem sagte, dass er zu allem fähig war. Einmal hatte ein Junge versucht, Mark Schwierigkeiten zu machen, während Ethan ein paar Tage in der Schule fehlte. Aber jener Junge musste anschließend bitter dafür bezahlen.
Ethan stupste Mark in die Seite.
»Los, komm jetzt!«, sagte er.
Ethan lief in Richtung Wald und rief: »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«
Mark resignierte und folgte lustlos stöhnend seinem Freund.

Im Kindle-Shop: Sieben Seelen

Mehr über und von Alex Turow auf seiner Website.

Labels: , ,

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite