17. September 2015

"Die Mutter des Marionettenkaisers" von Ulla Schmid

Die Mutter des Marionettenkaisers erzählt die Geschichte verschiedener Akteure im untergehenden Rom um 475 n. Chr. Im Mittelpunkt steht Servilia Gracchus, die spätere Mutter des jungen Kaisers Romulus, die sich bald des Mordes an ihrem früheren Geliebten Julius Aemilius, einem einflussreichen Politiker, verantworten muss. Westrom ist schon lange am Ende seiner Weltherrschaftszeit angekommen. Auf dem Kaiserthron wechseln sich die Kaiser, die fast alle keine Macht mehr ausüben in kürzester Zeit ab. Zumeist werden sie gewaltsam gestürzt, verbannt oder ermordet. Die Macht in Händen halten die Heermeister.

Eine Vorentscheidung fällt bei der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern 451 nach Christus. Einem weströmischen Heer mit Verbündeten aus germanischen Stämmen steht Attila mit seinen Verbündeten, ebenfalls aus germanischen Stämmen, gegenüber. Westrom kann diese Schlacht für sich entscheiden, erleidet aber große Verluste. Der Untergang ist einfach nicht mehr aufzuhalten. Es ist eine Zeit großer Umbrüche und in diese Zeit der Umbrüche platzt Orestes, Vertrauter, Gesandter und Sekretär des Hunnenkönigs Attila einige Jahre nach dem Tod Attilas.

In dieser Zeit versucht Servilia Gracchus ihr Leben in Ordnung zu bringen, wird aber des Mordes an ihrem ehemaligen Geliebten, einem einflussreichen, reichen Senator und Frauenhelden, verdächtigt. Orestes gelingt es, durch einen Trick den wahren Mörder zu entlarven und die Unschuld Servilias zu beweisen. Aus beiden wird ein Paar und die Geburt des Sohnes Romulus macht das Glück perfekt. Orestes landet mit seiner kleinen Familie im Palast und steigt die Karriereleiter hoch – und damit beginnt auch schon sein Untergang. Ein Germane im weströmischen Offiziersrang, Odoaker, wird zur großen Gefahr für Orestes und seine kleine Familie.

Und dann ist da noch Markus, ein junger Römer, der Servilia aufrichtig liebt …

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Leseprobe:
Nun erhoben sich die für das römische Reich so wichtigen germanischen Hilfstruppen und forderten Land – und ausgerechnet Odoaker war ihr Anführer. Odoaker hatte sich schon immer für seine Landsleute eingesetzt und eines Tages war er verschwunden. Orestes ahnte, wohin es Odoaker verschlagen hatte, und was er wohl plante, und doch war er überrascht. Es sollte nicht lange dauern, bis Odoaker an der Spitze der Aufständischen vor dem Kaiserpalast auftauchte.
Den Palastwachen gab er barsch zu verstehen: »Ich möchte sofort in den Palast geführt werden zu demjenigen, der die Macht innehat, und das ist sicher nicht dieses Jüngelchen namens Romulus Augustulus.«
Die Palastwachen bebten vor Zorn, was von Odoaker mit Zufriedenheit bemerkt wurde. Und doch mussten die Römer schon lange hinnehmen, dass andere Völker eben so mit ihnen umgehen konnten. Dafür ließen sie Odoaker über Gebühr lange warten, bis er zu Orestes geführt wurde. Odoaker war sowieso nicht bester Laune, und er glaubte vor Zorn platzen zu müssen. So stand das Treffen unter keinem guten Stern.
Orestes war die Hauptperson, aber Romulus stand neben seinem Vater und neben diesem Paulus. Das Gespräch führten Odoaker und Orestes und eine bitterböse Bemerkung des Odoaker, wer denn nun Kaiser sei, trieb nicht nur dem Romulus die Verlegenheitsröte ins Gesicht. Zum ersten Mal begriff der Junge, dass er nur eine Marionette seines Vaters war. Dieser und Odoaker maßen sich mit zornigen, ablehnenden Blicken.
»Ich bin gekommen, um für die germanischen Hilfstruppen Land in Italien zu fordern. In den germanischen Hilfstruppen dienen sehr gute Soldaten und du könntest bei einem Angriff auf Rom auf sie zurückgreifen; sie sind sehr zuverlässig. Du weißt sicher, dass es sich Rom nicht leisten kann, auf die Dienste der Hilfstruppen zu verzichten. Wir wollen nur ein Stück Land, das wir bebauen können, und uns integrieren.«
War es wirklich nur die Landforderung? Es soll fast ein Drittel der Reichsfläche gewesen sein. Orestes lächelte spöttisch. Wusste er wirklich nicht, dass Odoaker Recht hatte? Auf jeden Fall wusste er schon, dass er Odoakers Forderung nicht nachkommen würde. Allerdings musste er Zeit schinden. Auf jeden Fall hätte er mit den Angehörigen der Hilfstruppen sicher leben können und das geforderte Land wäre für das Reich nicht »verloren« gewesen.
Odoaker ahnte um die Gedanken des Orestes und gab ihm barsch zu verstehen: »Du weißt doch sehr genau, dass du meine Forderung nicht ablehnen kannst.«
»Gib mir noch drei Tage Bedenkzeit«, begann nun Orestes überheblich. »Ich werde dir dann sagen, wie ich mich entschieden habe.«
Odoaker bebte vor Zorn, und er sah, wie Romulus das Haupt senkte. Der Junge hatte sich überhaupt nicht geäußert. Dieser Orestes schien wirklich noch nicht begriffen zu haben, dass er es sich nicht leisten konnte, die Hilfstruppen vor den Kopf zu stoßen. Odoaker konnte sicher sein, dass Orestes seiner Forderung nicht nachkommen würde.
»Verlass dich drauf, dass ich mit den Hilfstruppen, die vor dem Palast warten, in drei Tagen wiederkomme, und glaube mir, du kannst es dir nicht leisten, uns abzuweisen. Bedenke die Folgen“, sagte Odoaker eindringlich.
Orestes grinste ihn höhnisch an. Auf keinen Fall würde er dem Ansinnen der Hilfstruppen nachgeben. Paulus indessen sah es als besser an, dem Ansinnen des Odoaker und der Hilfstruppen nachzukommen. Mit seinen wirklich guten Argumenten konnte er Orestes nicht überzeugen.
Nach drei Tagen stand Odoaker vor Orestes und er wusste schon, was Orestes ihm sagen würde: »Ich habe mich entschieden, eurem Ansinnen nicht nachzugeben. Die Hilfstruppen erhalten hier in Italien kein Land.«
»Nun, dann musst du die Konsequenzen auch tragen«, meinte Odoaker. »Du bist wirklich nicht klug, Orestes. Dass du so ein Dummkopf bist, hätte ich nicht gedacht.«
Mit den Worten »Du kannst jetzt gehen und komm mir nie mehr unter die Augen« warf Orestes den Odoaker hinaus.
Odoaker starrte ihn böse an: »Du wirfst mich jetzt hinaus, aber ich komme wieder und ich komme nicht alleine. Die Hilfstruppen gehorchen mir aufs Wort. Das wirst du noch bitter bereuen.«
Es sollte nicht lange dauern, bis Odoaker mit den Hilfstruppen reagierte.
Eines Morgens stürmte Paulus mit gehetztem Gesichtsausdruck in das Büro seines Bruders. So dringend war es, dass er nicht einmal anklopfte, was er sonst immer tat: »Schau mal aus dem Fenster«, forderte er ihn auf.
Orestes konnte sich nicht denken, was Paulus eigentlich von ihm wollte. Draußen standen die Hilfstruppen in Reih und Glied. Orestes starrte Paulus an.
»Du kannst rausschauen, wo du willst. Sie haben den Palast umstellt, Odoaker führt sie an. Sie führen nichts Gutes im Schild und sie machen schon Anstalten, den Palast zu stürmen. Warum hast du auch das Ansinnen der Hilfstruppen abgelehnt?«, meinte nun Paulus. »Hättest du doch nur auf mich gehört.«
»Bei welchen Truppenteilen der Hilfstruppen steht Odoaker?«, fragte Orestes tonlos.
»Wozu willst du das wissen? Was hast du davon, wenn du das weißt?«, gab Paulus barsch zurück. »Es nützt uns jetzt nichts mehr, aber er steht am Haupteingang des Palastes. Komm mit, dann kannst du dich überzeugen.«
Zusammen stürmten sie an ein Fenster, das über dem Haupteingang lag. Sie hörten die harte Stimme des Odoaker, der in diesem Moment den Befehl zur Stürmung des Palastes bellte. Die Hilfstruppen setzten sich gut aufgestellt rasch in Bewegung. So waren in früheren Zeiten die römischen Legionäre marschiert – diese Zeiten waren schon sehr lange vorbei.

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