4. Dezember 2013

'Die Enkelin' von Annemarie Nikolaus

"Quick, quick, slow - Tanzclub Lietzensee" erzählt aus dem Leben eines Tanzvereins. Die Reihe von Kurzromanen entsteht als Gemeinschaftsprojekt verschiedener Autoren.

Madeline Lagrange, die Enkelin des Vorsitzenden des Tanzvereins sieht Gesellschaftstanz lediglich als Kulturtechnik, die sie ohne großen Ehrgeiz lernt. Dann trifft sie auf die Square Dancer des Vereins. Und sie verliert ihr Herz – nicht nur an den Tanz, sondern auch an den Caller der Gruppe, den Amerikaner Chris Rinehart.

Chris ist vom ersten Augenblick an fasziniert von Madeline. Aber er ist der Trainer der Gruppe und sie ist minderjährig. Darum kämpft er gegen seine wachsende Zuneigung für sie und verleugnet ihr gegenüber seine Gefühle. Während Madeline mit der Kompromisslosigkeit ihrer siebzehn Jahre Chris zu verführen versucht, setzt ihr Großvater alles daran, ihn aus dem Verein zu verbannen, um die beiden auseinander zu bringen.

Gleich lesen: Die Enkelin (Quick, quick, slow - Tanzclub Lietzensee)

Leseprobe:
Square Dance war eigentlich ganz einfach, wenn man erst mal wusste, was sich hinter so merkwürdigen Calls wie „pass the ocean“ oder „ladies in, men sashay“ verbarg. Hinnerk nickte immer wieder anerkennend. Madeline genoss die Stimmung in der Gruppe, die Musik – und den betörenden Klang von Chris’ Singstimme. Jedes Mal, wenn ihr Blick auf ihn fiel, hatte sie das Gefühl, seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben.
Wenn sie Großpapa sagte, nach der Pleite mit Robert hätte sie einfach die nächste Gelegenheit ergriffen, die sich ihr angeboten hatte? Das müsste ihn eigentlich freuen. Tanzen war Tanzen ... Nein, war es nicht. Eben deswegen würde sie beim Square Dance bleiben. Bei dem Gedanken an Chris wurde ihre Kehle eng.
Madeline war so ins Grübeln versunken, dass sie Fehler zu machen begann. Chris’ kritisch gerunzelte Stirn hieß sie, sich besser zusammenzunehmen. Er sollte nicht denken, sie mache das wieder absichtlich.
Dann war das Training zu Ende und die Gruppe versammelte sich wie gewohnt an der Bar. Chris stand mit den anderen zusammen und diskutierte; hatte er entschieden, dass sie keine Nachhilfe bräuchte?
Madeline nippte unschlüssig an ihrem Prosecco, von Hinnerk in Beschlag genommen. Ihm war bald anzusehen, dass er sie am liebsten gefragt hätte, was mit ihr los war. Aber zu ihrer Erleichterung tat er es dann doch nicht.
Dann wollten Carola und Tanja gehen und Norbert fragte Madeline, ob er sie mitnehmen solle.
Chris bemerkte Madelines ratlosen Blick und kam zu ihnen. Offensichtlich hatte er die ganze Zeit auf sie geachtet, obwohl er in die Gespräche vertieft erschienen war. „Es ist spät; hast du trotzdem noch Zeit zu bleiben?“
„Ja natürlich.“ Als ob sie nicht die ganze Zeit darauf gewartet hätte.
Hinnerks Blick wurde noch wachsamer. „Üben? Ich kann auch noch bleiben.“
Chris’ Gesicht blieb ohne Ausdruck, als er antwortete. „Muss nicht sein.“ Warum schickte er Hinnerk nicht ausdrücklich fort?
Aber Hinnerk schien nichts verdächtig zu finden und als Chris mit Madeline in den Saal zurückging, bleib er nur kurz in der Tür stehen und verabschiedete sich, noch bevor sie anfingen zu tanzen.
Madeline war verspannt vor Aufregung und als Chris sie an der Hand nahm, hatte sie das Gefühl, sie würde von einer verräterischen Röte übergossen. Um zu verbergen, was in ihr vorging, verkrampfte sie sich noch mehr. Aber es nützte nichts. Chris fasste sie an beiden Schultern und studierte ihr Gesicht. „Locker, Madeline.“ Er lächelte sparsam; sein Blick jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken.
Sie lehnte sich an und er sog heftig die Luft ein. Er roch nach Pfefferminze und einem herben Aftershave, obwohl es Stunden her sein musste, dass er sich rasiert hatte. Der dunkle Schatten auf seinen Wangen gab ihm einen verwegenen Ausdruck.
Ihr fiel keine Entgegnung ein, die irgendwie witzig oder intelligent war. Aber sie begann sich zu entspannen. Dabei hatte sie die ganze Zeit das Gefühl, er müsse sich anstrengen, cool zu bleiben. Da war nichts mehr von der Leichtigkeit der letzten Tage zu spüren. Irgendwann gab sie es auf, darüber nachzudenken und tanzte einfach nur.
„Ich fahre dich nach Hause“, sagte er, als an der Bar die Gläser von Margas Aufräumerei klirrten. Offensichtlich war dies das Zeichen, Schluss zu machen. Wartete Marga abends etwa, bis der letzte gegangen war? Chris hatte doch sicher einen Schlüssel für die Etage.
Dann gingen sie alle drei gemeinsam, aber Marga lehnte Chris’ Angebot ab, sie ebenfalls nach Hause zu bringen. „Ich brauche frische Luft und Bewegung, bevor ich schlafen kann.“
Es hatte wieder angefangen zu schneien und der Schnee hob sich hell gegen den unbeleuchteten Hof ab. „Der Hausmeister ist wahrscheinlich wieder in der Kneipe“, murrte Marga, während sie ihnen folgte und mit leicht von sich gestreckten Armen in ihre Fußstapfen trat.
Chris nahm Madeline an der Hand, um sie sicher über die rutschige Fläche zu führen.
An der Straße blieb Marga stehen. „Wir sind schneller zu Hause, wenn wir nicht mit dir fahren, Chris. Bis du dein Auto ausgegraben hast und auf den glatten Straßen ...“ Sie sah Madeline auffordernd an, als sie jedoch nicht reagierte, verabschiedete Marga sich und stiefelte zum U-Bahnhof.
Chris’ Auto stand nur ein paar Schritte entfernt, aber als Madeline einstieg, hatte sie schon eisige Füße und Hände. Es war bestimmt fünfzehn Grad unter null. Sie klemmte sich die Hände unter die Achseln, während Chris rundherum die Scheiben frei räumte.

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Mehr über und von Annemarie Nikolaus auf ihrer Website.

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