29. Oktober 2013

"Zeitgeist Alptraum-Phantasie" von Christian S. Schneeweiß

Eine Horrorgeschichte. Ein Mann in lebenslanger Sicherheitsverwahrung schreibt sich in seiner Zelle die Geschichte von der Seele, die ihn dort hinein gebracht hat. Er braucht nicht viel Platz und Zeit dafür. 53546 Wörter reichen ihm. Nur?, möchte man fragen. Und er hätte geantwortet: "Genau gelesen sind das mehr als genug. Wahre Teufel stecken immer in Details."

Ein Furcht einflößender und rätselhafter Roman.

Gleich lesen: ZEITGEIST Alptraum-Phantasie

Leseprobe:
Es war Anfang November, damals, und viel zu kalt für diese Jahreszeit. Vereinzelte, eisige Schneeflocken, ich weiß es noch, wie Gespenster tanzten sie durch die Luft, als ich am Tatort vorfuhr. Die Nachhut des ersten leisen Schneefalls dieses Winters.
Ich stieg aus dem Wagen aus, kein leichtes Unterfangen für einen behäbigen, andere würden sagen leicht übergewichtigen Mann. Die Flocken tanzten, es roch nach Winter. Ein schöner Tag – eigentlich.
Wäre da nicht der Zerbrochene gewesen.
Nein, ein schöner Tag – ganz eigentlich. Der Tag kann schließlich nichts für die Toten, die sich in ihm tummeln. Tote allein, sie hätten mich allerdings nicht gestört, die kommen und gehen, wenn auch nicht buchstäblich. Dachte ich zumindest, nein, war ich mir sicher. Bis ich diesen Toten sah, diesen Zerbrochenen, und die Welt nicht mehr verstehen konnte. Ganz hab ich sie nie verstanden, natürlich. Aber bis zu einem gewissen Grad denkt man doch immer, man wüsste Bescheid, nach welchen Regeln wenigstens jene kleine Welt, die man sich selbst erschaffen hat, in der man selbst lebt und deren Verlauf man selbst ein Stück mitbestimmen kann, funktioniert. Und dann ist man vollkommen entsetzt, wenn etwas aus der Reihe tanzt…Oder, wie in meinem speziellen Fall, wenn ein Toter, der vorzeitig aus dem Reisezug des Lebens geworfen wurde, auch tatsächlich so aussieht, als wäre er aus einem Hochgeschwindigkeitszug geschmissen worden. Mehrmals. Aber der Tote, er lag in einem kahlen Raum. Das Blut an Wänden und Decke und Boden sprach dafür, dass er auch genau dort zu Tode gekommen war. Die große Frage war also: Wie war das möglich? Und die größere Frage: Wer konnte so etwas möglich machen, wer oder was? Und zu guter Letzt: Warum? Die dritte Frage im Bunde … alle guten Dinge sind doch zu dritt. Zumindest sagt man das, wer weiß, wieso? Aber was und wen frage ich überhaupt? Stelle hier Fragen, ohne eine Antwort erwarten zu können. Dumm, oder? Ja.
Der Tote zu dem ich gerufen worden war, war offensichtlich nicht unter so genannten normalen Umständen abgetreten (das heißt, wenn man etwas zumindest subjektiv dermaßen die Alltags-Norm Sprengendem wie dem Ende eines menschlichen Lebens mit dem Begriff „Normalität“ überhaupt beikommen kann.). Und er hatte sich auch sicher nicht selbst umgebracht.. Egal, wie man es und ihn drehte und wendete, es war klar, nie und nimmer hätte sich dieser Mann seine unzähligen Wunden und Verletzungen selbst zufügen können. Schon allein aus anatomischen Gründen nicht.
Der Raum war leer. Bis auf die Leiche. Sie war nackt. Kein Fetzen Stoff an ihr, kein Schmuck, kein gar nichts. Neben seiner Kleidung hatte man den Toten auch um sämtliche anderen Accessoires, die ein Mensch so an und in sich tragen kann, erleichtert. Um Zahnkronen etwa. Und um eine erst einige Monate zuvor in ihn eingepflanzte Herzklappe. Samt Herz.
All das sollte aber erst zu einem späteren Zeitpunkt ans Tageslicht kommen. Nämlich, nachdem man zum einen die in solchen Fällen übliche pathologische Untersuchung durchgeführt, und zum anderen (und zum Teil in einem Aufwasch) die Identität des Toten festgestellt haben würde.
Letzteres hätte bei dem Zustand der Leiche normalerweise natürlich einige Zeit gedauert. Dass allerdings an besagtem Tag genau eine Person ihrem Arbeitsplatz in dem Gebäude am Rande der Welt ferngeblieben war, und das unentschuldigt, obwohl eben deren Wagen schneebezuckert vor dem zum Tatort gewordenen Gebäude stand, das legte nahe, wessen Leiche da im Keller lag. Sicher konnte man sich natürlich trotzdem nicht sofort sein. Und man konnte die Identität des Toten auch nicht gleich ohne weiteres von einem seiner Anverwandten feststellen lassen. Der hätte ihn ohnehin nicht wieder erkannt … Dank DNA-Abgleich konnte man dann allerdings doch zweifelsfrei feststellen, wer er war:
Edgar Millstätter, neununddreißig Jahre alt, geliebter Ehemann einer bildhübschen Frau, Vater einer Tochter und eines Sohnes, selbst Sohn zweier noch lebender Eltern und großer Bruder zweier Schwestern.
Und jetzt? Edgar, der Mensch, gänzlich entmenschlicht. Nur ein zur Unkenntlichkeit zertrümmerter, nackter Körper. Ein Haufen Fleisch und Knochen, den die unverbesserlichen Romantiker unter uns, und das gar nicht mal so abwegig, „sterbliche Hülle“ nennen.
So lag er da, vor mir. In diesem sterilen Kellerraum, nunmehr durchflutet von der für Mordermittlungen so charakteristischen, morbiden Tatortatmosphäre ... die einem wie mir zugegeben gar nicht mehr so unangenehm war.

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