3. Oktober 2012

'Von heimtückischen Morden' von Christian Grohganz

Fünf niederträchtige Kurzgeschichten über rätselhafte, niederträchtige und vor allem heimtückische Morde:

Auf einer Insel - umgeben von dunklen Schatten - wird einem Studenten bewusst, wie gefährlich manche Nebenjobs sein können.

Bei einem unerwarteten Treffen holt zwei Freunde die Vergangenheit ein - während der Werwolf-Mörder in der Stadt umhergeht ...

'Er kommt und holt dich!' – mit unheilvollem Text droht eine Ketten-Mail einem Mädchen. Alles Humbug oder lauert das wahre Grauen im Internet? Ein Hausherr befürchtet, dass sich etwas unter seinem Fliesenboden bewegt – während ein Kommissar eine Leiche sucht. Den letzten Blick im Auge einer Toten festhalten – so erhofft sich ein Polizist einen Serienmörder zu finden.

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Leseprobe aus "Buhnen":
„Die Zeiten ändern sich“, hatte sein Großvater gemurmelt, als sie ihn von seiner Arbeit am Ostseestrand pensionierten – ein Jahr nach der Wende. In der DDR diente das ehemalige Fischerdorf mit dem kilometerlangen Sand als 'Naturbühne zur Erholung des sozialistischen Arbeiters', wie es in SED-Broschüren bezeichnet wurde. Stefans Großvater war oberster Beauftragter für Abschnitt Nord und Süd gewesen – oder Bademeister für alle, wie Stefans Großvater es selbst gern nannte.
„Ja, Opa hat immer davon geschwärmt, dass man in der DDR so frei war, FKK und so, aber in Wirklichkeit war da niemand frei, es gab Regeln und Bestimmungen für alles. Und davor waren die Nazis da und die haben sich genauso aufgeführt. Seit man zurückdenkt, haben alle den Strand für sich vereinnahmt“, hatte Stefans Vater gesagt.
Als Stefans Großvater in Pension ging, kamen die Investoren und die Kapitalisten. Sie kauften von der Stadt auf, was vorher in 'Volksbesitz' war, bauten schicke Hotels, Cafés und Erholungszentren. Erlebnistourismus nannte man das.
Die ersten Jahre vergingen anarchistisch: Wildes Campen, Müllverpestung und Fäkalien neben spielenden Kindern waren keine Seltenheit - die Stadtverwaltung war völlig überfordert.
Stefans Vater sah die Gunst der Stunde, machte sich selbstständig und eröffnete eine Strandsicherheitsfirma - im Auftrag der Hotelketten. Wie in der DDR wurden verschiedene Abschnitte gesperrt - damals noch für SED-Kader, heute für zahlende Bankiers, Oligarchen und Internetmillionäre. Der Strand wurde zu einem Prestigeobjekt des Bundeslandes – ein wahrer Touristenmagnet. Ein Höhepunkt: Eine kleine Insel, nicht weit entfernt von der Stadt. Abgeschottet und naturbelassen, aber komplett zu mieten, wenn man das nötige Kleingeld aufbringen konnte.
„Jung', wie wäre es, wenn du dir ein paar Euro dazuverdienst?“, hatte Stefans Vater gefragt, als sein Sohn ein Meeresbiologie-Studium angefangen hatte. Stefan war am Wasser aufgewachsen, aber hatte sich, seit er drei war, nicht einmal mehr mit den Zehenspitzen in die Ostsee getraut, nachdem er bei einem Wellengang fast ertrunken war.
Faszination und Urangst, beides verband Stefan mit dem Strand, deswegen konnte er sich keinen besseren Nebenjob vorstellen und sagte seinem Vater sofort zu.
Danach ging Stefan dreimal die Woche auf nächtliche Patrouille. Sein Vater hatte ihm die guten Strecken zugewiesen - unter anderem die Insel - und selten traf er bei seinen Rundgängen überhaupt auf Leute. In den letzten zwei Jahren hatte Stefan fast jede Situation ohne große Worte lösen können und nur einmal musste er mit seinem Elektroschocker drohen.
Es war ein ruhiger Studentenjob, definitiv besser als in einem Baumarkt an der Kasse zu stehen oder als Maskottchen im Fußballstadium herumzuturnen.
Das Rauschen der Ostsee, der weitläufige glitzernde Sternenhimmel und der knirschende Sand unter den Füßen, ließen Stefan höchstens zeitweise Einsamkeit spüren und führten schlimmstenfalls zu einer sanften Melancholie.
Doch in dieser Nacht war er nicht allein.

Die einzige Verbindung zur Insel war eine Stahlbrücke mit Eichenbohlenbelag aus dem frühen 19. Jahrhundert, die unter Denkmalschutz stand. Die Brücke fuhr mechanisch zur Seite, wenn man an einer Kurbel drehte, was nach den Vorschriften des Ordnungsamtes wegen des Schiffsverkehrs immer gemacht werden musste, wenn gerade keine Personen zur Insel übersetzen wollte. 500 Meter dahinter befand sich der erste Campingplatz und keine 500 Meter weiter begannen die angrenzenden Hotels.
Stefan hatte pflichtbewusst die Kurbel gedreht, war im Schein seiner Taschenlampe über die Brücke gelaufen und hatte auf der Insel die Brücke wieder in Schräglage versetzt. Das Funkgerät knackte und Arnulf hatte das Team wissen lassen, dass es gleich regnen und er sich erst einmal einen Grog genehmigen würde. Prüfend hatte Stefan die Finger ausgestreckt und die ersten Tropfen waren ihm auf die Handinnenfläche gefallen. „Fantastisch“, hatte Stefan gemurmelt und spielte für einen kurzen Moment mit dem Gedanken sofort wieder aufs Festland zu übersiedeln - als er das seltsame Geräusch vernahm.
Es klang wie das Pfeifen des Windes, nur gespenstischer. Stefan hatte das Funkgerät und den Elektroschock an seinem Gürtel befingert und war in das Innere der Insel vorgedrungen. Das Geräusch wurde lauter und manifestierte sich zu einem eigenartigen Sing-Sang.
Für einen Moment war Stefan hinter einer Düne stehen geblieben, lauschte seinem Atem und dem eigenartigen Summen.
Je mehr er hörte, desto klarer wurde ihm, dass es sich um Worte in einer fremden Sprache handelte - vielleicht Latein.
Klingt jedenfalls unheimlich, dachte Stefan und musste sich zwingen weiterzugehen.
„Maßregel 1 des Sicherheitshandbuchs“, murmelte er. „Ruhe bewahren und die Situation unter Kontrolle bringen.“
Der Kegel der Taschenlampe leuchtete die Büsche ab und Stefan war tiefer in den Inselwald eingedrungen.

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Mehr über und von Christian Grohganz auf seiner Website.

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