14. Juni 2012

'Der Todestagverkäufer (Froebius. Im Bannkreis des Unheimlichen 3)' von Norman Nekro

Gruselkrimi aus der postnapoleonischen Zeit: Eine unheimliche Dienstleistung macht den mysteriösen Magus Mortemer zum Stadtgespräch: Gegen Zahlung eines stattlichen Honorars nennt der reisende Geschäftsmann betuchten Bürgern Tag und Stunde ihres Todes. Dass seine Prophezeiungen stimmen, beweist das plötzliche Ableben eines reichen Weinhändlers auf die Minute exakt zum vorhergesagten Zeitpunkt.

Auch der alternde Bonvivant Baron Eitel von Wallerfels hat aus reiner Neugier den Todestagverkäufer konsultiert. Um so größer sein Erschrecken, als er hören muss, dass er nur noch drei Tage zu leben hat. Verzweifelt fleht er seinen Arzt Professor Froebius um Hilfe an. Ein prall mit süddeutschen Gulden gefüllter Lederbeutel soll der Bitte des Adeligen den nötigen Nachdruck verleihen. Obwohl der kritische Medicus die Todesprophezeiungen für lächerliche Quacksalbereien hält, beginnt er daraufhin das Umfeld Mortemers zu durchleuchten. Dabei stößt Froebius schnell auf eine Kette logisch nicht erklärbarer Ereignisse. Sie führen ihn direkt in das grauenvolle Finale einer dämonischen Seelenjagd, die in den mörderischen Zeiten des Dreißigjährigen Krieges mit einer tragischen Liebe begonnen hatte.

Dass die Logik eines kühlen Verstandes alleine den Kampf gegen Geister, Dämonen, Vampire und allem, was sonst noch die Nächte unsicher macht, nicht gewinnen kann, muss Professor Dr. Johann Jakob Fürchtegott Froebius (48) immer wieder widerwillig zugeben. Denn der praktische Arzt aus der Nach-Napoleon-Ära um 1818 ist alles andere als ein passionierter „Geisterjäger“. Er sieht sich als kritischen Wissenschaftler, der nur das akzeptiert, was man mit Formeln berechnen und in Experimenten nachweisen kann. So passt es ganz und gar nicht in sein sorgfältig gepflegtes Weltbild, dass ihn der Bannkreis des Unheimlichen nicht mehr aus den Klauen lässt ...

Gleich lesen: "Der Todestagverkäufer (Froebius. Im Bannkreis des Unheimlichen 3)"

Leseprobe:
»Bitt` einträtta, gnä` Herr!«
Verblüfft starrte Heinrich Persell den kleinwüchsigen Mann an, der soeben flink wie ein Wiesel aus der spaltbreit geöffneten Tür geschlüpft war und ihm mit einer tiefen Verbeugung den Weg in das Konsultationszimmer des großen Magus wies. Der Liliputaner war nur etwas über einen Meter groß, fiel aber noch mehr durch seine papageienbunte Kleidung auf. Knallrote, mit goldenen Sternen bestickte Pluderhosen, jadegrüne Schnabelpantoffeln, eine dunkelblaue Samtweste sowie ein riesiger knallrot-dunkelblau gestreifter Turban mit Goldbrosche und rosafarbener Flamingofeder nährten werbewirksam die Vermutung, dass der Träger dieser exotischen Tracht offenbar aus einer sehr weit entfernten Weltgegend stammen musste.
Die alles entscheidende Antwort auf die wichtigste Frage seines Lebens?
Hier sollte er sie finden?
Von einer Sekunde auf die andere kam sich Persell zutiefst lächerlich vor. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen: Er, der reiche Weinhändler, einer der angesehensten Bürger der kleinen Stadt am Main, war gerade im Begriff, sich im Hinterzimmer des Gasthofs »Zum Goldenen Anker« von einem zwielichtigen Quacksalber nichts Geringeres vorhersagen zu lassen als Tag und Stunde seines eigenen Todes!
Das kann doch nur betrügerischer Humbug sein!
Dem Mittfünfziger mit dem voluminösen Backenbart wurde plötzlich siedend heiß. Hat ihn wirklich nur die reine Neugier dazu getrieben, sich auf einen solchen abergläubischen Unsinn einzulassen?
Oder war er vielleicht nicht mehr ganz bei Verstand?
Der Weinhändler schämte sich in Grund und Boden. Er fasste seinen Gehstock fester, wollte gerade auf dem Absatz umdrehen und das Wirtshaus fluchtartig verlassen, da schwang die knorrige alte Eichentür zur Gänze auf und gab den Blick frei auf den mysteriösen Todespropheten, von dem zur Zeit die ganze Stadt sprach.
Die rechte Hand nonchalant in der Hosentasche, lehnte Magus Mortemer, wie er sich selbst nannte, lässig im Türrahmen. Gut zwanzig Jahre jünger als Persell, strahlte seine ganze Erscheinung eine höchst extravagante Mixtur aus weltmännischer Noblesse und ungezähmter raubtierhafter Wildheit aus. Schulterlanges, rabenschwarz schimmerndes Haar fiel auf eine offen getragene honigfarbene Seidenweste mit Arabeskenmustern, unter der ein blütenweißes Hemd ohne Kragen und Schleife hervorleuchtete. Die gertenschlanke Gestalt wurde von einer hauteng geschnittenen anthrazitfarbenen Hose betont, die in geschmeidigen schwarzen Stiefeln mit hellgrauen Stulpen mündete. Solche edlen Stücke aus kostbarstem Juchtenleder konnte man nur gegen teure Goldgulden im fernen russischen Zarenreich bekommen.
»Kein Zweifel, ein Mann von Geschmack und Vermögen«, dachte Persell mit widerwilliger Bewunderung. Dass es aber doch ein Detail gab, das absolut nicht in das elegante Bild des perfekten Kavaliers passen wollte, bemerkte er erst, als Magus Mortemer die rechte Hand aus der Hosentasche zog.
Statt menschlicher Finger lugte eine stählerne Hakenkralle aus dem weißen Hemdsärmel!
Dem Weinhändler fiel sofort auf, dass sich selbst diese makabre Prothese durch eine besonders erlesene Qualität auszeichnete. Ein wahrer Künstler aus Hephaistos` Zunft musste es gewesen sein, der mehr als dreihundert Lagen harten und weichen Stahl in einen akribisch fein strukturierten Rosendamast verwandelt und daraus den Haken geschmiedet hatte.
»Monsieur Persell, wie ich vermute. Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Kommen Sie doch bitte herein...« Mit einer schwungvollen Geste deutete Magus Mortemer in den Raum hinter sich.
Die Bewegung ließ die Stahlklaue aufblitzen.
Irritiert zwinkerte der Weinhändler mit den Augen. Er konnte plötzlich den Blick nicht mehr von dem Haken abwenden und stellte mit Erschrecken fest, dass sich das silbrige Gleißen des Rosendamasts immer greller in seine Netzhaut brannte. Nach wenigen Sekunden war der wie erstarrt dastehende Geschäftsmann geblendet. Durch feurige Zackenkreise glaubte er noch erkennen zu können, wie sich die Augen des Wahrsagers zu schmalen Schlitzen verengten, in denen eine rötliche Glut waberte. Heraus schossen seltsam stechende Blicke, die sich ins Bewusstsein seines Gegenübers fraßen und dort jeglichen Widerstand brachen.
Aber das hat Persell schon nicht mehr wahrgenommen.
Dafür kam ihm der Gedanke, den »Goldenen Anker« zu verlassen ohne Magus Mortemer konsultiert zu haben, jetzt einfach absurd vor.

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