1. Dezember 2011

'Die Perle auf dem Hühnerstall' von Marion Pletzer

Ein Kinderbuch mit gefiederten Helden: Die Henne Clarissa, das Perlhuhn Perle und die Pute Consuela übernehmen die Aufgabe, ihre Stallgefährten und sich selbst vor dem Schlachter zu retten und begeben sich auf eine abenteuerliche Reise. Wegen eines Erbstreites steht der Hof vor der Schließung und das Geflügel droht geschlachtet zu werden. Ein Blatt Papier, das den Tieren vor die Schnäbel fällt, scheint für die Menschen von großer Bedeutung zu sein. Das Leithuhn Clarissa vermutet darin den Schlüssel für ihre Rettung, aber niemand in der gefiederten Gemeinschaft kann die Schrift entziffern.

Ein einem fernen Ort soll es jedoch eine Taube namens Ugundi geben, die lesen kann. Also macht sich ein Trupp auf die gefährliche Reise, um die Taube zu finden, zu befreien und um Hilfe zu bitten. Um bei ihrer Mission erfolgreich zu sein, überwinden die Tiere ihre Vorurteile und Eitelkeiten und erleben mit ihren individuellen Eigenheiten, Stärken und Schwächen, viele spannende und humorvolle Episoden.

Gleich lesen: Die Perle auf dem Hühnerstall

Leseprobe:
Seltsames ging an diesem Morgen auf dem Hof vor. Nicht Valerie, sondern Hendrik hatte die Luke des Hühnerstalls geöffnet. Und was noch seltsamer war. Es gab kein Futter.
In der Nähe des Zauns, saß Clarissa geschützt unter einem Busch, und suchte die Umgebung nach Valeries vertrauter Gestalt ab. Doch nur Hendrik rannte über den Hof, verschwand im Haus und hastete gleich darauf erneut über das Grundstück. Auf der Terrasse, unmittelbar neben dem Geflügelauslauf, stapelte er Holzstühle, einen Tisch und Teppiche neben einem hohen Schrank.
„Das gibt es doch gar nicht“, murmelte er unentwegt. Er riss die Schubladen des Schranks weit auf, kramte darin herum und knallte sie wieder zu. Dann lief er zurück ins Haus. Kurz darauf fuhr ratternd und klappernd ein LKW auf den Hof. Er hielt mit einem zischenden Geräusch vor dem Möbelstapel und eine stinkende Wolke wehte zu Clarissa herüber. Der Rauch kribbelte so heftig in ihrer Nase, dass sie niesen musste. Zwei Männer stiegen aus und begutachteten die Möbel.
„Guten Morgen.“ Hendrik steckte den Kopf durch das geöffnete Fenster. „Das kann alles weg.“
Die Männer packten als erstes den Schrank und hoben ihn an. Er kippelte.
„Absetzen!“, schrie der eine. Zu spät. Der Schrank fiel vornüber und krachte auf den Boden. Es knirschte und quietschte, als das Holz zerbarst. Splitter flogen umher.
Die Männer schrieen sich an und fuchtelten mit den Armen. Ihre Gesichter waren rot angelaufen.
Wie die Hähne, dachte Clarissa.
Ein Windstoß wirbelte Späne und Holzstückchen über den Boden.
Clarissa verfolgte mit dem Blick ein Stück Papier, das vom Wind getragen aufstieg, über den Zaun segelte und direkt vor ihren Füßen landete. Kringel und Kreise bedeckten es, die aussahen, als sei ein Huhn darüber gelaufen. Clarissa stellte eine Kralle darauf.
Mit finsteren Mienen sammelten die Männer die sperrigen Einzelteile zusammen und warfen sie auf die Ladefläche des Wagens. Dann fuhren sie davon. Mit dem Verklingen des Motorengeräusches kehrte die Ruhe auf den Hof zurück. Noch glitzerte Morgentau auf der Wiese und die Feuchtigkeit wellte das Papier unter Clarissas Krallen. Neugierig kam Flo angelaufen. Mit der Hoffnung auf einen Leckerbissen, pickte sie hektisch an dem Zettel herum. Sie zupfte ein Stück ab und schluckte es herunter. Dann reckte sie den Hals und würgte, weil das Papier in ihrem Hals steckte. Doch der Fetzen kam nicht mehr zum Vorschein.
„Du wirst dich nochmal umbringen“, sagte Clarissa und schüttelte den Kopf.
„Ich hab Hunger!“
„Du hast immer Hunger. Guck doch wenigstens, was du frisst. Der Zettel gehört mir.“ Clarissa hackte Flo zur Seite. Sie nahm das Papier in den Schnabel und trug es zum Stall. Dort schob sie es unter das Stroh ihres Legenestes, so dass es nicht zu sehen war. Die anderen Hennen beachteten sie nicht. Zu eifrig waren sie damit beschäftigt, am Boden nach übriggebliebenen Körnern vom Vortag zu picken.
„Wo bleibt denn Valerie?“, krächzte Perle von der Sitzstange herunter. „Wann kapieren die Menschen, dass wir nur das zum Leben haben, was sie uns geben?“ Ihre breiten Kehllappen wackelten unwillig. Clarissa kam es vor, als wäre Perles grauweiße Gesichtshaut noch eine Spur bleicher als sonst.
„Sei nicht ungerecht. Valerie hat uns noch nie vergessen“, erwiderte sie. Der beruhigende Tonfall in ihrer Stimme galt nicht nur Perle, sondern besonders ihr selbst. In ihrem ganzen Leben gab es keinen Tag, an dem Valerie sich nicht um sie alle gekümmert hatte.
„Gib doch mal den Warnruf ab. Dann kommt sie auf jeden Fall“, bat Clarissa.
Sofort hüpfte Perle nach draußen und flatterte auf das Dach des Stalls. Ihre Krallen schabten über das Blech wie Kreide auf einer Schiefertafel.

Im Kindle-Shop: Die Perle auf dem Hühnerstall

Mehr über und von Marion Pletzer auf ihrer Website.

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